4. September 2023

Another tribe

Zugegeben, ich war in dieser Sache sehr langsam. Langsam im Verstehen und folglich in der Akzeptanz der Tatsache, wie viel uns trennt, wenn wir in einem Gemeinwesen aneinandergeraten.

Es scheint einfach zu sein. Menschen haben Interessen und verfolgen ihre Interessen oft bis zur Unerbittlichkeit. Selbst die Sanften unter uns. Unerbittlich. In manchen Momenten muß ich mir das erklären können, weil ich sonst womöglich den Verstand verlieren würde.

Das Erstaunliche ist für mich jenes Ausmaß an Feindseligkeit, wie es scheinbar oft schlagartig hochgehen kann. Da reichen schon Meinungsverschiedenheiten, um Übergriffe auszulösen. Ich lasse mich übrigens nicht davon überzeugen, daß wir Menschen von Natur aus so seien.


Das ist vor allem kulturell bedingtes Fehlverhalten, für das Erklärungsmuster bereit liegen, wenn in Gemeinschaften der achtsame Umgang miteinander zusammenbricht, die Verteilungsgerechtigkeit in Trümmer geht. Es hat bei uns tiefe Wurzeln, die zuletzt im Faschismus verfeinert wurden, der grade sein Revival hat.

Das bedeutet aber nicht, hier würden bloß Akteurinnen und Akteure vorgehen, die in ihrem Selbstverständnis rechte bis rechtsradikale Konzepte verwoben haben. Ich sehe da auch Leute, die in ihrer Selbstdarstellung ausdrücklich links von solchen Positionen rangieren, aber hinter ihrer Bühne ganz anders handeln. Gut geölte Heuchler, die sich mit ihren Posen eine erstaunliche Zustimmung holen, in ihrer Lebenspraxis etwas ganz anderes verschaffen.

Aber vielleicht skizziere ich hier etwas, das nie anders war, bloß anders konturiert, gewichtet, geschichtet. So sind noch kürzlich die sozialen Hierarchien viel massiver gewesen und was eine ständische Gesellschaft ist, durften wir vergessen. Aber das liegt nicht weit zurück.

Da ich zu den frühen Akteuren der heimischen Netzkulturszene gehöre und schon online war, als viele um mich herum noch keine Vorstellung hatten, was das Wort bedeutet, kann ich auf diese Geschichte der Neuen Medien aus teilnehmender Beobachtung zurückblicken.


So nannten wir das in den 1990ern: Neue Medien. Und wir sprachen von Medienkonvergenz. Das ist, wie gesagt, heute Geschichtsbetrachtung. Die Zugangskosten gingen runter, die Übertragungsraten rauf. Webzugänge waren plötzlich nicht bloß in fast allen Haushalten, sondern in fast allen Händen.

Damit entstand eine neue Form von Öffentlichkeit, für die wir einst eine Netiquette verhandelt hatten. Das meint Regeln für die Telekommunikation und Telepräsenz. Zum Beispiel war Crossposting verpönt. Heute ist das Standard. (Ich sehe im Facebook oft die zeitgleich die selben Inhalte einer Person wie auf Instagram. Wozu? Weiß kein Mensch. Ist Mumpitz, aber macht nichts.)

Trolle wurden einst aus den Gruppen entfernt so gut es ging. Heute scheinen sie in manchen Bereichen zu regieren. Menschen zu beschimpfen (flamings) scheint normales Verhalten zu sein, das vielleicht nicht gebilligt, aber vielfach hingenommen wird.

Eine weitere Aufzählung scheint mir müßig. Ich war eben noch Netzkultur-Avantgarde, plötzlich bin ich ein Online-Neandertaler. So kann's gehen. Und ich greife auf Metaphern alter Zeiten zurück. Die Rüpel, die Großmäuler, die Verächtlichen... Another tribe! Das ist eben ein anderer Stamm mit einer anderen Kultur. Falls eine akzeptable Verständigung nicht klappt, hilft Abstand.

+) Rechtsruck