24. Juli 2023

Knast mit Ausgang

Was ergeben Jahrzehnte am Schreibtisch plus alt werden? Genau! Rücken. Ist ja nicht so, daß mich daran etwas überraschen würde. Außerdem lebe ich durch meine Motorradunfälle ohnehin seit wenigstens dreißig Jahren mit Schmerzzonen, die nie ganz verstummen.

Nun wäre mit mir fast so eine Kerl-Nummer durchgegangen, eine lässiger Erhabenheit: Was? Schmerzen? Na, wenn schon! Aber eigentlich paßt mir das alles überhaupt nicht und oft ist es mir so schwer erträglich, daß vom Kerl keine Spur bleibt. Da kann ich dann sehr unleidlich werden, was sich mildern läßt, indem ich Menschen meide, sobald ich derart miese Laune habe.


Ganz für sich mit tiefem Groll vor sich hinzugranteln und zwischendurch Verwünschungen ausstoßen, das ist eine passable Strategie zur Spannungsabfuhr. Freilich brauche ich inzwischen noch ein paar neue Strategien, damit sich der Grant wegarbeiten läßt. Eben weil es nicht mehr bloß die Entwöhnung von der klassischen Kerl-Nummer geht.

Das Altwerden ist um mich herum auf skurrile Art so überhaupt kein Thema. Zum Glück kenne ich ein paar Männer zwischen 70 und Mitte 80, die es mir nicht krumm nehmen, wenn ich sehr direkte Fragen stelle. Was blüht einem also, wenn der Lack ab ist und der letzte Abschnitt eines Lebens stattfindet? Womit sollte man sich arrangieren? Anders gefragt: Wie wird man halbwegs gelassen ein alter Mann?

Keine Sorge! Ich werde hier weder Schmerzensgeschichten ausbreiten, noch irgendwelche Ratschläge verbreiten. Ich will bloß notiert wissen, daß ich in unserer Gesellschaft erhebliche soziokulturelle Mängel wahrnehme, während wir in großer Menschenmenge ein Alter erreichen können, das unlängst noch der Sonderfall gewesen ist.

Der Schwank an dieser Geschichte: Es gab zwar immer auch Menschen die 80 oder 90 Jahre alt wurden, aber sie blieben über tausende Jahre hinweg die Ausnahmen. Vor nicht gar so langer Zeit war das Durchschnittsalter unserer Leute 30 Jahre und mit 40 zählte man zu den alten Menschen. Alter ist daher kürzlich noch etwas ganz anderes gewesen als heute.

Aber kommen Sie mir bloß nicht mit „60 ist das neue 40“ oder ähnlicher Dummschwätzerei. 60 ist das neue 60. (Ich bin 67.) Nun hab ich sicher ungefähr ein Jahr gebraucht, um zu akzeptieren, daß alle physischen Guthaben verbraucht sind.

Das bedeutet, wenn ich nicht öfter und womöglich weiter in der Gegend herumstreune, statt am Schreibtisch zu hocken oder die Couch zu umarmen, wird mein Leben sich sehr wahrscheinlich verkürzen und auf jeden Fall weniger erfreulich anführen. Derzeit trifft mich selbst eines meiner Lieblings-Bonmots: Mit der Natur kann man nicht verhandeln. Mehr muß dazu nicht gesagt werden.

Da ich oft nachts wenig schlafe und den fehlenden Schlaf am Tag darauf mit größten Wohlbefinden nachhole, ist mir etwas überraschendes aufgefallen. Ich schlafe bestens auf dem harten Boden, nur durch einen dünnen Teppich vom kalten Parkett getrennt.

Der Witz an der Sache: Österreichs obrigkeitsstaatliches Strafrecht kannte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts für schwerkriminelle Konsorten die Zusatzstrafe „hartes Lager“ vierteljährlich und an jedem Jahrestag der Tat Dunkelhaft.

Ich wäre nun beidem völlig problemlos gewachsen. Bloß der Rest an Knast würde mich zu Tode langweilen. Da ich aber ohnehin sehr viel Stille benötige, könnte man sagen, ich habe zuhause für mein Wohlbefinden eine Sonderform von Knast mit Ausgang entwickelt. Es macht mir nichts aus, mehrere Tage kein einzige Wort zu sprechen. Und ich liege öfter behaglich auf dem harten Boden in der Finsternis.

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