1. Juni 2023

Truth is a Slow Bullet

Ich so: Berghammerl, Wollsocken, geländegängige Hose mit breiten Panzerträgern. (Man könnte damit ein Auto abschleppen.) Kleine Kompaktkamera. Reichlich Zuversicht. Und der Hang bringt mich fast um, so steil ist der Hügel. (Meine Lungen liefern einfach nicht genug Sauerstoff für so eine Passage.)

Der Kontrast: Mein Fotograf (Richard Mayr), Halbschuhe, keine Socken, Bermudas, eine Kamera, so wuchtig wie ein Werkzeugkasten. Er fräst gleich einer Gams den Hang rauf und schaut sich oben im Wald noch ein Weilchen um.


Es zeigt sich: Wer einen Teil seines Lebens im realen Abenteuer verbracht hat, ist eben anderes in der Welt. Ich dann zuhause: kalte Drinks. Ich weiß, falsches Konzept. Aber ich bin ja nicht der Dalai Lama mit diesem Faible für warmes Wasser. Zeckensuchroutine. Einkaufen. Auf die Couch fallen.

Naja, es ist auch eine Art Abenteuer, aber nicht ganz zu physisch. Mein Leben in der Kunst verlangt nach massiven inneren Vorgängen. Und Schreibzeug. Ich verwende Hefte und vorzügliche Stifte, die in praktisch jeder Lage ansatzlos schreiben. Stifte, die beim Schreiben erst einmal ein, zwei Zentimeter blinde Spur hinlegen, sind mir zuwider. Das ist barbarischer Schund.


Ich hab heute ein Video gesehen, das Söldner der Gruppe Wagner zeigt. Das ist die Bande der Prigoshin, die für Putin einen Teil des Kriegs in der Ukraine erledigt. Die Männer zertrümmern einem Gefangenen mit einem Vorschlaghammer die Knochen. Mit einer Schaufel trennen sie seine Hände ab. Für den Kopf ist ein Messer nötig.

Ich ertrage das nicht ohne weiteres. Aber es hilft mir, die Reichweite der Conditio humana zu verstehen. Und die Borniertheit jener Wohlstandskinder, die mir hier – von ihrer Couch aus – Putin als ermutigenden Realpolitiker empfehlen.


Nein, das regt mich nicht auf. Es macht mir bloß Kummer. Ich stamme aus einem Clan faschistischer Leute und weiß daher, welche Mühe es ist, die Kerben ihrer Traumata, von denen ich gezeichnet bin, verheilen zu lassen; vor allem aber: es nicht fortzusetzen.

Sie müssen verstehen, ich spüre eine tiefe Verachtung für diese Wohlstandskinder in meiner Umgebung, diese leichtfertigen und dummen Geschöpfe, wie sie mir – womöglich ohne besondere Absicht – dieses Grauen andienen, von dem ich mehr kenne, als einem lieb sein kann.

Fußnötchen: die Titelzeile - „Truth is a Slow Bullet“ - stammt aus der Serie „Alaska Daily“ in der Hilary Swank die widerspenstige Journalistin Eileen Fitzgerald spielt.

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