11. April 2023

Poesie und Gestrüpp

Wieder eine runde Zahl: Logbuch-Eintrag Nummer 3.400; das liegt längst jenseits meiner praktischen Vorstellungskraft. Ich kann mir zum Beispiel unter 3.400,- Euro was vorstellen, nicht aber unter so vielen Seiten. Ich muß das einmal mit einem Stapel Druckerpapier nachstellen, sieben 500 Blatt-Pakete...

Das war also nun Ostern. Ausreichend ruhig, mit etwas Lebendigkeit durchzogen. Es ergab sich etwa aus diesem wunderbaren Präsent, welches ich vor meiner Tür fand. Ein Brot, ein Ei, ein kleines Auto. Wesentliche Dinge, von deren Ankunft ich erst nichts mitbekommen hatte.


Oder ein paar Stunden in einer familiären Situation, die von gutem Essen und grenzenlos vorzüglichem Wein bestimmt waren; aber mehr noch, von der Gesellschaft zweier Kinder, die mich mit einem Genre vertraut machten, das mir neu war.

Es werden einem Fragen gestellt. Etwa: „Was ist orange und kommt über den Berg daher?“ (Eine Wanderine.) Oder: „Was hoppelt rauchend übers Feld?“ (Ein Kaminchen.) „Was ist braun und sitzt hinter Gittern?“ (Eine Knastanie).

Wer das für banale Scherzchen hält, übersieht völlig, daß es einen raffinierten Umgang mit Sprache zeigt. (Auch eine Einübung in das Verstehen von Poesie.) Kinder tun sowas bedenkenlos, weil es ihnen Spaß macht. (Mir macht es auch Spaß.) Es bricht semantische Konventionen auf, denn Worte sind in einer ewigen Diskrepanz zu dem, was sie bezeichnen.

Wir brauchen also im Kopf Instanzen, die zwischen solchen Kontrasten vermitteln, die Diskrepanz auflösen. Zweckgebunden, das ist die eine Option. Spielerisch, das ist die andere. (Dort tun sich Pforten zur Kunst auf.)

Zwischendurch war ich in Kraut und in Gehölz, im Gestrüpp, mit Fotograf Richard Mayr in den Auen der Raab. wie dem vorigen Eintrag schon entnommen werden konnte. Damit ist es ähnlich wie mit den 3.400 Seiten. Alles, worauf ich da draußen stoße, wenn mich der Wald verschluckt oder ein Schilfgürtel, wenn der Fluß seine Schleifen zieht, ist größer als meine Vorstellungsgabe.

Ich denke beispielsweise immer noch daran, wie viele Arten von Gräsern ich auf diesen Wegen bisher gesehen haben mag, ohne sie benennen zu können. Dazu fällt mir ein: wie viel Sachkenntnis muß man eigentlich Funktionstragenden in Politik und Verwaltung abverlangen, damit sie größere Eingriffe in die Natur anordnen dürfen?



Wartburg 353

Das läßt sich auch auf andere Themenbereiche übertragen. Mich beschäftigt derzeit der Rechtsruck im steirischen Kulturbetrieb, wie er sich etwa seit 2008/2009 markant vollzogen hat. Ich kenne keine Debatte darüber, obwohl es eine Kulturgewerkschaft gibt (die IG Kultur) und obwohl einige Parteien eigene Kulturinitiativen pflegen. Merkwürdig!

Publizist RT Moreau schickte mir zu diesem Thema einen wesentlichen Tipp. Fintan O'Toole schrieb schon 2018 in The Irish Times, daß der Faschismus Testläufe an allen Fronten gestartet hat. Das korrespondiert mit meinen Ansichten zur Neuen Rechten, die in Eruopa seit den 1980ern ein höchst ambitioniertes und erfolgreiches Programm fährt.

O'Toole: „Fascism doesn’t arise suddenly in an existing democracy. It is not easy to get people to give up their ideas of freedom and civility. You have to do trial runs that, if they are done well, serve two purposes...“ [Quelle]

Genau das läßt sich unter anderem am Rechtsruck von Teilen des steirischen Kulturbetriebs ablesen. Es läßt sich auch darstellen; und zwar nicht im Modus „Verkünden statt begründen“, sondern mit konkreten Belegen.

+) Matrix der Gewässer
+) Rechtsruck (Der steirische Kukturbetrieb)