29. März 2023

Der hybride Krieg X

Noch einmal knapp gefaßt, was ich mit dem Begriff „hybrider Krieg“ meine. Europa erlebt die Kombination von heißem und kaltem Krieg. Reguläre Truppe, Söldner und Partisanen liefern sich auf dem Boden der Ukraine Krieg, Feldzug und Schlacht.

Simultan dazu führen alle beteiligten Parteien sowie weiter zivilgesellschaftlicher Kreise Propagandaschlachten, die in ganz Europa für soziale Unruhe sorgen. Einen speziellen Anteil hat dabei die Neue Rechte mit eigentümlichen Strategien.

Der Krieg der Medien ist neben dem Töten in vollem Gange; offenbar auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Das meine ich mit hybrid. Dabei ist es hierzulande längst üblich, die Demokratie anzufeinden und ihre Instutitionen herabzuwürdigen.



Miyamoto Musashi auf einem Holzschnitt von Kuniyoshi, ca. 1850 (Ausschnitt)

Zu meinen Glossen über derlei Vorgänge und über den Nationalismus habe ich nun mehrfach den Hinweis auf Sun Tzu kassiert. Danke! Kenne ich. Sein Werk „Die Kunst des Krieges“ gehört ja zu den themenbezogenen Standards im bildungsbürgerlichen Geplapper, wenn man es bisher noch nicht der Mühe wert fand, etwas in die Tiefe zu gehen. Dann rettet einen kurz wenigstens die Erwähnung von Sun Tzu.

Eigentlich beginnt eine sinnvolle Lektüre über solche Zusammenhänge ja mit Heraklit: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien.“

Und wenn schon ein Augenmerk auf asiatische Inspirationsquellen gehalten wird, dann könnte man auch über Miyamoto Musashi reden, jenen Ronin aus dem 17. Jahrhundert, der mit seinem „Buch der Fünf Ringe“ Jim Jarmush zum Film „Ghost Dog“ (1999) angeregt hat.

Aber der Tod ist ein Meister aus Deutschland (© Paul Celan) und einer seiner vorzüglichsten Prokuristen hieß Carl von Clausewitz. Ich staune immer noch darüber, daß sein opulentes Werk „Vom Kriege“ – obwohl aus dem frühen 19. Jahrhundert stammend - bis heute enorm treffend und aufschlußreich ist, wenn man über konventionellen Krieg nachdenkt. Neu ist in der Sache bloß, daß ein umfassend mechanisierter Krieg mit seinen effizienten Fernwaffen heute eine Anzahl von Todesopfern ermöglicht, wie das vor dem 20. Jahrhundert nicht zu schaffen war.



Der Prokurist des Todes

Ganz im Gegenteil! Der Body Count aus Schlachten von einigen Jahrtausenden ist laut forensischen Studien (Untersuchungen von Skelettfunden) verblüffend gering. Aber selbst bezüglich des 20. Jahrhunderts zeigen uns die meisten Actionfilme ein viel zu hohe und völlig unrealistische Feuerkraft der Soldaten und auch der inszenierte Kampfesmut ist eher die Ausnahme.

Das habe ich nicht bloß gelesen, sondern auch aus persönlichen Gesprächen mit Männern bezogen, die über reale Schlachtfelderfahrungen verfügen. Ergo ist „Der soldatische Mann“ als Ideal vor allem ein Produkt von Propaganda.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß der schmächtige Russe Sun Tzu gelesen hat. Aber er wäre mit der Clausewitz-Lektüre sicher gut beraten gewesen. Dann hätte Putin eventuell damit gerechnet, daß man bezüglich einer regulären Armee leicht unterschätzen kann, wie hart eine Volksarmee kämpft, wenn sie sich im eigenen Land gegen Invasoren wehrt.

Putin haut ja nicht bloß russische Verbände in die Schlacht. Dort sind auch die Söldner von Prigoshin aktiv, der – wie Videos zeigen – inzwischen sogar in Gefängnissen Kämpfer rekrutiert und parallel Munitionsknappheit beklagt. Ramsan Kadyrow, Warlord und moskautreuer Diktator Tschetscheniens, haut auch Soldaten in die Ukraine. (Spiegel: „Muslimische Tschetschenen gelten als extrem brutale Milizionäre, Tausende kämpfen unter russischem Kommando.“) Ein Zirkus des Verbrechens.

Im ersten Teil des dritten Buches „Vom Kriege“ erwähnt Clausewitz die „kriegerische Tugend“ eines stehende Heeres als Ausdruck von Professionalität, denn „Krieg ist ein bestimmtes Geschäft“. Über die dazu nötige Tugend notierte er: „Sie unterscheidet sich von der bloßen Tapferkeit und noch mehr von dem Enthusiasmus für die Sache des Krieges.“

Aber was man offenbar auch auf die Ukraine anwenden kann: „Bei Volksbewaffnungen und Kriegen werden sie [die Tugenden] durch natürliche Eigenschaften ersetzt, die sich da schnell entwickeln.“ Der bisherige Kriegsverlauf macht deutlich: das hat der schmächtige Russe anscheinend nicht gewußt.

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