17. März 2023

Koan

Egal, welchen Kanal ich gerade offen hab, überall treiben sich Grüppchen um wie eine marodierende Soldateska, die auf Beute aus ist. Eine Art Sekte der Selbstoptimierenden, in deren Kielwasser sich ein Verkündigungs-Tsunami aufgebaut hat.

Diese turmhohe Flutwelle der Memes mit Weisheiten, Empfehlungen, begleitet von Links zu frohen Botschaften und Wahrheiten, den wahren Wahrheiten zu allen Lebenslagen. Wäre ich kein so stures Wesen, ich könnte endlich erfahren, was diese Menschen und jene Institutionen „wirklich“ vorhaben, dann das wurde endlich aufgedeckt und sogar auf Youtube verkündet.



Szene aus "Metropolis" von Fritz Lang

Ich gebe zu, so viel Weisheit und Welterkennen würde mir das Hirn verätzen. Nein, ich brauche es viel grundlegender und oft schlichter. Darum bin ich nach wie vor mit Grübeleien über objektives Nichtwissen beschäftigt. Dieses Phänomen, von dem ich gestern erwähnte, es wären dies mögliche Phänomene, über die nirgends im gesamten Universum Informationen vorhanden seien.

Dolche Vorstellungen finde ich hinreißend. Aber woher will jemand wissen, daß es nirgends im Universum... Verstehen Sie mich recht! Wir kennen ja kaum weiter als bis zur Beteigeuze. (Eine kommende Supernova auf der Schulter des Orion) irgendetwas.

Objekte sind im Universum für uns bis zu einer Entfernung von 13,8 Milliarden Lichtjahre sichtbar. Da ein Lichtjahr der Strecke von rund zehn Billionen Kilometern entspricht, bin ich schon weit vorher mit meiner Vorstellungskraft am Limit.

Nun ist die Beteigeuze bloß flockige 550 Lichtjahre von uns entfernt. Da sich das Universum beständig ausdehnt, keine Ahnung wohin, entspricht meine Angabe einem von mehreren möglichen Rechenmodellen. Unter Beachtung des Partikelhorizonts beträgt der beobachtbare Radius eigentlich 46 Milliarden Lichtjahre. (Ich werde mir das übrigens nicht merken. Sie können es damit halten, wie es beliebt.)

Sie ahnen vielleicht, im Moment und für meine aktuellen Überlegungen ist es völlig egal, ob sich konkret überprüfen läßt, daß es irgendetwas geben könne, worüber im gesamten Universum keine Information vorhanden seien. Es sagt mir als Idee zu. Die Möglichkeit des objektives Nichtwissen ist eine Vorstellung, auf die ich durch Befassung mit der Quantenphysik gekommen bin.



Das glaube ich ja sofort!
Zumal es von jemandem kommt, der Robby Altwein heißt.

Dabei fiel mir auf, daß ich eine ähnliche Annahme aus einer ganz anderen Kultur kenne. Van Morrison singt davon in „Enlightment“. Die Passage lautet: „Chop that wood / carry water / What's the sound of one hand clapping? / Enlightment, don't know what it is...“

Das verweist auf die buddhistische Empfehlung, sich - wenn man etwas tut - auf die Dinge zu konzentrieren, in Gedanken nicht woanders zu sein. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Das schwingt in diesem Lied mit. Dann aber dieses populäre Koan, das uns Meister Hakuin Ekaku hinterlassen hat: „Was ist der Ton des Klatschens einer Hand?“

Darüber ist nirgends im Universum eine Information vorhanden. Es gibt keine schlüssige Antwort. Ich meine übrigens, darauf ist überhaupt keine Antwort möglich und nur ein Streber würde sich dazu eine Ansage aus dem Steiß ziehen. Was ich damit sagen möchte?

Im Nachdenken über die Welt, wie es für künstlerische Arbeit vorkommt, mag es manchmal unverzichtbar werden, daß man sein Wissen und sein Denken völlig auf Null herunterfährt, was übrigens gar nicht einfach ist. Wer Zazen praktiziert, wird das wenig überraschend finden. Aber in unseren Kreisen kommt mir sowas eigentlich nie unter. Außer es geht gerade einmal um Quantenphysik...