16. März 2023

Objektives Nichtwissen

Es war wenig überraschend. Als ich jüngst begonnen hab, mir ein paar Grundkenntnisse in Elektrotechnik anzueignen, bin ich zwingend auch bei der Quantenmechanik gelandet. Es passiert mir so alle zehn Jahre, daß ich in dieses Thema hineinfalle und mit dem unangenehmen Gefühl heraussteige, daß ich noch immer nichts dazugelernt hab.

Diesmal fühlt es sich eine Kleinigkeit anders an. Ich hänge derzeit noch an einem Detail, das Physiker Anton Zeilinger objektives Nichtwissen nennt. Das bedeutet, über ein Phänomen, eine Angelegenheit, ist Information nirgends vorhanden. Nicht unentdeckt. Nicht esoterisch verborgen. Nicht vorerst unzugänglich, da man etwas noch nicht verstanden habe. Objektives Nichtwissen meint, die Information ist nirgends im Universum vorhanden.


Man mag nun fragen, was es nützen soll, so eine Begriffsbestimmung vorgenommen zu haben. Ich hab es erst jetzt verstanden. Es gehört zu jenen Details, die wir uns meist lieber nicht bewußt machen, daß nämlich schon das Atom in einigen seiner Elemente unseren Verstand überfordert, weil übersteigt, erst recht das Universum.

Es gibt Angelegenheiten, die können nicht gewußt werden, weil sie sich ohne Ursache einstellen. Kausalität ist nicht gegeben. Meine Schlußfolgerung: Da zeigt sich nun ein Beispiel, wozu wir Menschen Philosophie entwickelt haben. Ein System des Nachdenkens über uns und die Welt, durch das wir auch zu Klarheiten gelangen, was unsere Grenzen angeht.

Ich weiß schon, vom erfolgreichen Praktiker bis zum flatternden Gschaftlhuber wird man allenfalls erfahren können, dies sei ein „Orchideenfach“, unnütze Pose. Ich erinnere mich an eine Schilderung von Mirjana Peitler-Selakov, Diplomingenieurin der Elektrotechnik und heute Functional Safety Expert bei Infineon Technologies. In ihrer Hochschulzeit wurden Frauen, die Philosophie studierten, „Zierfische“ genannt.

Bis heute will sich der Homo faber gegenüber der Denkerei hervortun. In Österreich handelt das mitunter von einer soliden Intellektuellenfeindlichkeit. Das wurzelt zum Teil in Erfahrungen von Untertanen, da man innerhalb einer Hierarchie erhebliche Probleme bekam, wenn man Klugheit oder Unmut von unten nach oben durchsetzen wollte.


Das führte inzwischen längst zu flächendeckenden Beispielen bei den Nachfahren von Untertanen, die sich mit Wucht gegen Formationen stemmen, wo sich konsequente Wissensarbeit manifestiert. Das will dann gegen die „Eliten“, „Die Wissenschaft“, die „Lügenpresse“ und ähnliche Phänomene vorgehen Aber zurück zur Quantenmechanik.

Anton Zeilinger ist der Auffassung, das Quanten-Thema sei in der Physik umfassend und zufriedenstellend angekommen, nicht aber in der Philosophie. Es wäre wohl darüber zu reden, daß unser Weltbild hinter den aktuellen Modi einer Beschreibung der Welt nachhinkt.

Ab dem Jahr 1900 kamen Debatten und Kontroversen rund um die Quantenphysik in Gang, bei denen für interessierte Laien vor allem dieser Aspekt zur Herausforderung wurde: Es gibt Phänomene, die ohne Ursachen auskommen. Manches kann nicht begründet werden. Weshalb ich das herausstreiche?

In der Kunstpraxis ist sowas ganz normal und daher vertraut. In vielen Formen künstlerischer Grundlagenarbeit ist man mit Fundamenten der Conditio humana befaßt, was es naturgemäß nicht möglich macht, solchem Engagement eine Nützlichkeit für die Alltagsbewältigung nachzuweisen. Man muß freilich noch eine gute Portion Untertan in sich haben, um das anzufeinden.