12. März 2023

Staub an meinen Schuhen

Valerio Scarani, von dem ich grundlegende Anregungen zum Thema Quantenphysik erhalten hab, zitiert dabei seinen Freund, den Soziologe Jean-Paul Fragniere: „Schließlich und endlich ist die Physik nur eine Beschreibung, keine Erklärung“. Ich verstehe das als Ausdruck eines angemessenen Respekts vor der Natur.

Wir haben viele Beschreibungen, vergleichsweise wenige Erklärungen für wesentliche Zusammenhänge. Wildnis! Ich bin für die Wildnis nicht eigentlich gerüstet, weder physisch, noch mental. Ich träume mich aber öfter in so eine Tiefe des Raumes, wo man allem ausgeliefert ist und sich diese gewaltige Dimension über einem wölbt; all das, in dem wir nur winzig sind.


Meist ist es für mich eine Metapher und oft ist mein Denken so, als stünde ich mit einer Funzel in einem riesigen, dunklen Gewölbe. Die Funzel ist mein Denkvermögen und ich spüre, was im Dunkel des Gewölbes noch alles sein mag, aber ich kann es nicht erkennen.

Es ist allerhand dokumentiert, wie hart Leute einst bezüglich der Quanten um Verstehen gerungen haben, wo es also tiefer in das Gewölbe ging. Bohr, Einstein, Heisenberg, Planck, Schrödinger... Boltzmann hat sich in diesem Zusammenhang umgebracht.

Ich hab es leichter, kann es jederzeit beim Staunen belassen, kann gegebenenfalls fragen, kann mich also mit einer philosophischen Position begnügen (das Staunen und das Fragen) und wundere mich nebenher, wie gerne ich mich der Natur aussetze, an der mir irgendwie alles ein Rätsel ist.

Mein Gewölbe ist eben nicht Platons Höhle, sondern im Grunde das Universum. Unser Verstand ist aber nicht einmal jenen Vorgängen gewachsen, die wir bei Elementarteilchen vermuten müssen. Ich finde das beruhigend. Menschen, die dem Buddhismus anhängen, haben dafür bessere Zugänge im Repertoire.


In der abendländischen Kultur kenne ich nichts, was einem buddhistischen Koan vergleichbar wäre; außer wir wenden uns Kunstwerken zu. Da kann sich etwas ähnlich ereignen. Oder eben bei der Quantenphysik. Daß etwas erfahrbar wird, bei dem wir aber an einer Wand landen, wenn wir nach Kausalität fragen. (Für den erfahrenen Buddhisten kein Problem.)

In den ersten Corona-Jahren hab ich so viel schlampige Vorhaltungen gegen „die Wissenschaft“ gehört; als wäre nicht klar, daß ein apodiktisches Behaupten von angeblichen „Wahrheiten“ sehr unwissenschaftlich wäre. Wissenschaft kennt die simple Bedingung, daß jeder als Faktum anerkannter Wissenssatz nur vorläufig ist.


Deshalb ist auch – nicht zuletzt dank der Quantenphysik – die Vorstellung von Objektivität gefallen. Wir können über Intersubjektivität nachdenken, während wir im Auge behalten, daß kein Faktum verifiziert, sondern bloß falsifiziert werden kann. Es gilt nur so lange als richtig, bis neue Erkenntnisse die Annahme falsifizieren, was heißt: als falsch ausweisen. Damit muß man grundsätzlich rechnen.

Zugegeben, sowas geht mit durch den Kopf, wenn ich draußen im Kraut herumsteige, mich durch Gebüsch drücke. Manchmal aber achte ich bloß noch, wo ich hintrete. Oder ich bestaune unterwegs, welcher Staub sich grade auf meinen Bergschuhen abgelagert hat. Oder ich schau in die Luft, betrachte die Arme und Isolatoren einer Überlandleitung.

Oder ich steig eine Böschung rauf, denn vor einer Werkstatt steht ein Triumph TR 7, den ich mir genauer ansehen will. Noch dazu die Cabrio-Version. (Sehr rar!) Die Silhouette des Klassikers erkenne ich schon aus größerer Entfernung. Was noch? Allemal viel Staub an meinen Schuhen. Und davor gab es unsere kulturpolitische Konferenz („Die Natur Mensch: Die vierte Session“). Es sind ja aktuell etliche Grundsatzfragen zu klären.

+) Die Natur Mensch: Die vierte Session