5. März 2023

Der hybride Krieg V

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht sehen sich an der Spitze einer „neuen“ Friedensbewegung und wähnen sich (man kann es hören und lesen) in der Sache als inhaltliche Avantgarde. Sie fordern hauptsächlich, daß die Waffen schweigen und Verhandlungen beginnen mögen. Das steht für ein bewährtes Genre. Ich greife drei exemplarische Fragen dieses Genres heraus und fasse sie zusammen:

„Ist das Wasser naß“? "Ist der Papst katholisch?“ „Ist verhandeln besser als schießen?“ Lassen Sie mich kühn mutmaßen: Ein Gros der Menschen, die sich befragen ließen, würden für den Stopp von Kriegshandlungen zugunsten von Verhandlungen votieren; außer jenen, die wirtschaftlich und/oder politisch von so einem Krieg profitieren.


Ich hege keinen Zweifel, daß von westlicher Seite auf dem Weg in diese Eskalation eine Menge Fehler gemacht wurden. Dem können, müssen und werden sich verschiedene Instanzen unserer Gesellschaften widmen, wenn das Morden aufgehört hat, die Waffen schweigen. Das darf ein wenig warten.

Was wäre augenblicklich zu verhandeln? Putin hält das ukrainische Staatsgebiet für russisches Territorium, welches er „zurückholen“ will. (Als Österreicher denke ich da: „Heim ins Reich!“) Putin hat klar gemacht, daß er die ukrainische Ethnie für ein Hirngespinst hält, daß in der heutigen Ukraine mehrheitlich „Russen“ leben würden, die es zu schützen gelte. Wovor? Zum Beispiel vor einem neuen „Nationalsozialismus“.

Verhandeln? Was wissen wir denn aus dem 20. Jahrhundert? Die Habsburger haben nicht verhandelt, sie wurden militärisch geschlagen. (Zur Option Separatfrieden: schlag nach unter „Sixtus-Affäre“!) Hitler hat nicht verhandelt. Er mußte militärisch geschlagen werden.

Milosevic? Im Untergang Jugoslawiens hat Europa en Miniature noch einmal alles durchgespielt, was während des 20. Jahrhundert mehrfach zur Katastrophe gereichte. Es begann im Kosovo, es endete im Kosovo. Dazwischen ein Fest der Gräueltaten. Gut, der Serbe Milosevic hat 1995 in Dayton verhandelt; mit Izebegovic (BiH) und Tudjman (Hr).


Das Friedensabkommen von Dayton wurde am 14. Dezember 1995 in Paris unterzeichnet. Am 27. Mai 1999 gab es seitens Den Haag eine erste Anklage und einen Haftbefehl des Tribunals gegen Milosevic. Im Jahr 2001 wurde er von der serbischen Regierung an das Internationale Kriegsverbrechertribunal ausgeliefert. (Daraus lernen wir für Rußland vs Ukraine eigentlich nichts.)

Es wäre eine interessante Situation, wenn Putin für bisherige Kriegsverbrechen seiner regulären Verbände und der Söldner jetzt schon eine Anklage aus Den Haag zugestellt bekäme.

Zurück zu Schwarzer und Wagenknecht, zu den Fragen ob das Wasser naß, der Papst katholisch und das Verhandeln besser als das Schießen sei. Wie schwierig Verhandlungen sein können, ist am Beispiel Dayton sehr anschaulich dokumentiert. (Derweil wird in Kriegsgebieten weiter gestorben.)

Menschen mögen votieren wofür auch immer sie wollen. In einer Demokratie wie unserer können sich sogar Neofaschisten formieren und sich bei einiger Achtsamkeit im Sprachgebrauch öffentlich äußern. Denke ich über den Zustand Europas nach, mündet das natürlich in die Überlegung: „Was war bisher der Fall und was wissen wir darüber?“

Das aktuelle Buch von Norbert Mappes-Niediek („Krieg in Europa“) bietet eine detailreiche Darstellung der Kräftespiele des Untergangs Jugoslawiens. Auf den letzte Seiten des Buches kommt er zur Frage „Kann man Gewalt mit Gewalt besiegen?“ Seine Antwort ist unmißverständlich. „Auf die alte Frage der Pazifisten hatte der Kosovokrieg ein weiteres Mal die klare Antwort gegeben: Man kann.“

Mappes-Niediek betont allerdings angesichts gewesener Gräueltaten, daß dabei eine ganze Reihe von Fragen offengeblieben ist. Nun zeigt sich: wir hatten seither Zeit vergeudet, uns mit diesen Fragen nicht befaßt...

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