19. Februar 2023

Deppendeutsch

Ja, ich weiß, unsere Realität ist eine Konvention, ist das Ergebnis von Übereinkünften unter Menschen. Jenseits davon gibt es eine Welt, die der Fall ist. Sprache vermittelt zwischen uns Menschen und diesem Realen, das wir nicht kennenlernen können, weil uns davon nur das erreicht, was unsere Sinnesorgane nach innen mitteilen. (Das Gehirn deutet diese Mitteilungen, aber es bildet die Welt, die der Fall ist, nicht ab.)


Wer mir hier gelegentlich über die Schulter blickt, kennt mein Faible für den Klang von Worten. Es ist daher vor allem dieses Hörbare und dann erst der Inhalt, wenn ich entscheide, etwas als „neu in meinem wortschatz“ hervorzuheben.

Am Rande dieser Marotte zerrt der „Superismus“ an mir. Ich dachte schon daran, eine kleine Sammlung von Übertreibungen anzulegen, konnte mich aber dann doch noch nicht aufraffen. (Oh-oh! So ein „aber dann doch noch nicht“ ist stilistisch eventuell auch zu überdenken.)

Wenn zum Beispiel meine Zahnpastatube in Versalien „EXTRA WEISS“ verheißt, dann wissen wir nicht, zu welchem „Normalweiß“ hier ein „Extra“ abzuholen sei. Solches Framing will freilich nicht auf Stichhaltigkeit überprüft werden, sondern bloß etwas Behagliches in uns auslösen.

Ich aber finde es provokant, daß mir Legionen von Spin Doctors sowas aufdrängen, ergo: auf meine Befindlichkeiten zuzugreifen versuchen, zumal das auch in der Politik längst Standard geworden ist. Im Kulturbetrieb finde ich das übrigens auch.

Es war dann ein Landespolitiker, der den Entschluß in mir auslöste, ein kleines Handbuch zusammenzustellen, eine Art „Best of Deppendeutsch“. Dazu kam dieser Tage ein Sätzchen, welches mir die Erinnerungsmaschinerie von Facebook rauszog. Ich hatte nämlich vor elf Jahren notiert: „meine lizenz zum zetern wurde eben verlängert“.

Dieser Erinnerung ging die erwähnte Notiz voraus, die ich mit „schwätzer-deutsch“ überschieben hab. Das Politiker-Zitat: „Wir haben uns – gestützt auf die Empfehlungen mehrerer Top-Experten – dazu entschlossen,...“ Ich kommentierte: „klar. 'experte' reicht nicht. so einer muß TOP sein, auch wenn wir nie erfahren werden, über welchen niederungen sich diese spitze erhebt.“



Erkenntnisstufe "Das Wasser ist naß!"

Angewandter Superismus. Deppendeutsch als Framing. Jemand meint, daß er uns mit herzerwärmenden Worten einlullen muß. Es stört mich sehr, daß ich vom politischen Personal so behandelt werde. Nun also mein Entschluß: das muß ich ein wenig bündeln, dann werden meine Einwände wie von selbst deutlicher. Aber zugegeben, „schwätzer-deutsch“ klingt ein wenig despektierlich. Ich denke, ich werde die fällige Sammlung eventuell „Kleine Schule der Geschwätzigkeit“ nennen.

Es mag dabei auch etwas Aufklärerisches zum Zug kommen. Ich gebe Ihnen ein aktuelles Beispiel. Sagt einer: „Den Fortschritt kann man nicht aufhalten.“ Das gehört in die gleiche Abteilung wie „Das Wasser ist naß!“ oder: „Der Papst ist katholisch.“ In Österreich sagen wir dann: „No na net!“



Null-Aussage per Coaching-Schwampf

Es sollte nämlich klar sein: Ein Fortschritt, der sich aufhalten ließe, wäre keiner. Aber vielleicht ist das für unser Land und unsere Zeit einen Tick zu raffiniert gedacht. Und passend zum Thema: Man feiert Yoko Ono zu ihrem 90. Geburtstag. Dazu hagelt es selbst aus seriösen Häusern ziemlich doofe Ono-Zitate, von denen ich hoffe, man hat sie ihr in den Mund gelegt. (Oder ist einem als Künstlerin von Rang durchaus geraten den Boulevard zu bedienen?)

Eine Ansage wie „Sei du selbst ohne dich davor zu fürchten“ ist ja ein sagenhaft flacher Coaching.Schwampf, der genau nichts aussagt, aber wohlig klingt und so tut, als wäre sowas aus Brunnen der Weisheit geschöpft.