12. Februar 2023

Neuland

Zugegeben, ich empfinde es als eine völlig antiquierte Pose, wenn ich in diesen Publikationsbereich reingehe, der seinem Wesen nach noch so stark mit der Bücherwelt verbunden ist; auch wenn das Ergebnis rein elektronischer Natur ist und im Web landet.

Ich hänge am Papier. Redaktionsarbeit, Layout, die Durchsicht der Seiten vor dem Publizieren, all das muß ich auf Papier haben und machen. Außerdem trennt mich von abertausenden Menschen deren Genügsamkeit, allerhand Stoffe über das Mobiltelefon zu beziehen. Für meine Vorlieben ist das ein zu kleines Gerät.


Dieses Winzlings-Display mit so einem Mäuseklavier an Tastatur erscheint mir extrem unzulänglich. Doch ich kann selbst nicht beurteilen, ob ich derweil zu einem rückständigen Wesen verkommen bin oder einfach eine kulturelle Nische besetzt halte, aus der Legionen von Menschen abgewandert sind.

Bei meinem gestrigen Arbeitsgespräch mit Wissenschafter Hermann Maurer ging es unter anderem um die neue NID-Technik, also um „Net Interactive Documents“, die wir mit einem WIKI kombinieren werden, um das vertraute Content Management System, auf dem das Austria-Forum beruht, weitgehend hinter uns zu lassen.

Da sagte Maurer an einer Stelle fast bedauernd: „Es ist dann aber einiges in HTML zu machen.“ Lustiges Detail: ich arbeite ja immer noch auch mit HTML, obwohl das in meinem nahen Umfeld vermutlich kaum jemand macht und viele nie begonnen hatten.

Ich habe Mitte Jänner bei Kunst Ost diese alte Schachtel gezeigt: „Frontpage 98“. Das kennen wohl bloß noch Veteranen der Netzkultur. Und Leute wie Maurer; siehe dazu: „Aufbruch in den Nebel“! Dort ist auch notiert, daß ich 1998 mit meiner ersten völlig eigenen Website online gegangen bin, nachdem ich in verschiedenen Kooperationen Lernschritte mit mehreren Vorläufern gemacht hab.

Nun also wieder lernen, wieder auf Neuland rausgehen. Auf der Höhe der Zeit? Oder zurück ins digitale Neandertal? Wer weiß das schon? Mir wird oft etwas von der geringen Aufmerksamkeitsspanne der Menschen erzählt, daß man die bedienen müsse, ihre entgegenkommen solle. Kurz, prägnant, knackig.



Hermann Maurer

Pardon! Ich bin kein Werbetexter, sondern ein Kulturschaffender. Da ist „Kurz, prägnant, knackig“ keine vorrangige Kategorie. Das bedeutet auch, ich fühle mich primär den Themen verpflichtet und denke dabei nicht rasend viel über das Publikum nach. Ich verstehe, daß in diesen Zeiten der weitgehend durchökonomisierter Daseinsformen allerhand geschäftige Menschen sich selbst und andere „optimieren“ möchten. Aber ich mißtraue diesen Optionen und der permanenten Beschleunigung.

Natürlich bleibt ein Risiko, daß der Lauf der Dinge über mich hinweggehen wird, andere klüger gewesen sein werden, während ich es mit all meinem HTML, den langen Texten, dem wuchernden Docuverse nicht auf die Höher der Zeit geschafft habe. Mag sein.

Ich kann nicht einmal erwidern: „Wir werden sehn!“ Warum? Weil ich nicht mehr am Leben sein werde, wenn sich das dereinst klären läßt. Aus der Gegenwart heraus ist es kaum möglich, sehr verläßliche, ausreichend stichhaltige Urteile zu formulieren. Also mach ich jetzt so weiter, wie es mir angemessen erscheint. Und vielleicht irre ich mich...

+) NID: Tesserakt (Notizen, Band 1)