31. Jänner 2023

Raab

In der Klamm gibt es Passagen des sorglosen Flanierens, aber manche Stellen, wo es besser ist, seine Schritte achtsam zu setzen. Vom Gollersattel gingen wir dann in einen Bereich hinein, in dem Fotograf Richard Mayr die Bärenhöhle finden wollte. Wir hatten etwas zu weit rechts angetragen. Die verschneite Böschung. auf der jener Wald wuchert, ist so steil, daß man jeden Schritt bedächtig setzten muß.


Ausrutschen und stürzen könnte eine weite Talfahrt nach sich ziehen, freien Fall inklusive. Das ist kein Terrain, auf dem ich mich wichtig machen könnte, während aber Mayr durch die Landschaft fräst, als würde er in einem Gemüsegarten spazierengehn.

Er hat bezüglich Wildnis eine Vorgeschichte. Das nenn ich Praxis des Kontrastes. Nach unserer Heimkehr, so vermute ich, wird er überlegen, was er mit dem restlichen Tag nun anfangen möchte, während ich schau, wo mein Sofa steht. Gut, als Homme de Lettres durchquere ich Buchstabenwüsten, keine Wälder und Schluchten. Ich sehe auch vieles nicht, was Mayr schon aus den Augenwinkeln entdeckt. Zum Beispiel die markant gezeichnete Wasseramsel, vor deren Existenz ich bis heute nichts wußte.


Doppelbindung! Erst sind meine Augen und Sinne zu schwach, um so ein Tierchen zu entdecken, dann bleibt mir meine Kamera die nötige Brennweite schuldig. Also hab ich mir angewöhnt, wenigstens abrupt stehenzubleiben, wenn Mayr die Kamera hebt, weil jede weiter Bewegung einen Vogel aufscheuchen kann. (Die sind verflixt schnell weg.)

Ich bin also gewissermaßen ein biologischer Störsender in diesem Übermaß an Natur und lerne erst so langsam, daß es nicht bloß um mich geht, wenn ich da draußen herumsteige. Zwischendurch staune ich über diverse Genies diverser Managements, die hier Schilder aufstellen lassen.

Darauf steht zum Beispiel „Naturerlebnis-Weg“. Sind unter uns emotional und intellektuell derart derangierte Wesen, daß sie solcher Hinweise bedürfen? „Hier ist ein Weg! Da gibt es ein Naturerlebnis. Erlebnis! Entertainment!“ Das sind „Wege zur Energie!“ (Hucherl!)


Was für dummdreiste Faxen, die umfassende Durchökonomisierung unser aller Leben auch in die letzten Winkel voranzutreiben! Welche Chuzpe, mir das als einen „Energiegewinn“ anzudienen, wenn ich über die rund vier Stunden hinweg hinterher mein Sofa brauche. (Was haben denn diese Genies für einen Energie-Begriff? Eine esoterischen, muß ich vermuten.)

Ich kann in Sachen Natur nichts predigen, denn ich bin am verschneiten Steilhang ein Rookie und in der Ebene der Klamm ein kindlich Stauender, den sogar Eiszapfen im Sonnenlicht überraschen. Dabei ahne ich, die Natur bewahrt man wohl zuallererst damit, daß man sich als Mensch mittendrin sehr zurücknimmt.

Ich weiß so vieles nicht und kenne so wenig von dem was ich sehe. Dann dämmert mir: es ist mit der Natur wie mit der Philosophie. Man erlebt etwas. Es folgen das Staunen und das Fragen.

+) Raab