26. Jänner 2023

Weicher Boden

Nun kam laufend Unruhe in mein privates Wörterbuch. Es gehört freilich zum Wesen von Jargon, daß Teile eines Wortschatzes außerhalb eines bestimmten Milieus weitgehend unbekannt sind. Also renne ich wie ein Teenager in Neuland. Zum Beispiel: Überbrückung, Unterführung, Verdolung. Bis wohin sind Sie noch dabei, wenn ich eine Verklausung draufhau?



Eine Dole am Bahndamm

Für manches davon ist nach dem Bemessungshochwasser zu fragen. Zum Beispiel, wenn das Fassungsvermögen eines Retentionsbeckens zu berechnen ist. Genau! Rückhaltebecken. Heut hab ich im Profil meiner Bergschuhe und an den Stulpen meiner Hose wieder einmal mehr Dreck nachhause mitgenommen, als ich erwartet hätte. Da draußen liegt viel weicher Boden und ich muß natürlich mitten in den Schlamm.



Ein Retentionsbecken

Käme ich dabei im Sommer besser weg? Wäre ich dann aber in Staub gehüllt? Sie ahnen gewiß, ich folge derzeit Wasserwegen. Ich will genauer verstehen, was uns da auf welche Art umgibt. Da wäre dieses Sätzchen, wie ich es nun wohl in „Krusches kleines Handbuch der bewährten Mantras“ einfügen werde: „Es ist ein Stück vom Paradies, wenn ich für unbegrenzt sauberes Wasser nicht Kilometer weit zu Fuß gehen muß.“

Auf solchen Wegen habe ich heute eine Storch aufgescheucht und mich gewundert, daß der um die Zeit nicht in Afrika ist. Ein Mirakel? Bäuerin Carmen Dreier-Zwetti rückte mir die Sache zurecht. Der Storch ist keiner, sondern ein Reiher. Er stieg auf, zog über mir eine Schleife, als wollte er mich in Augenschein nehmen, und verschwand über die weiten Felder des Raabtales. Die Dole sollte ich noch erklären, denn eine Dohle (Corvus monedula) ist was anderes. Da half mir Techniker Franz Ablinger auf die Sprünge. Es ist eine Verrohrung, mit der ein Rinnsal etwa unter einer Straße durchgeführt werden kann. Oder auch ein hoher Durchlaß. So oder so eine Röhre, denn laut Wikiped leitet sich das Wort von althochdeutsch Dola für „Röhre, Rinne“ her.



Ein Reiher über den Feldern

Dazu fiel mir gleich die Doline ein, aber das ist eine Sinkhöhle oder ein Karsttrichter, nach einem slowenischen Wort benannt: dolina, die Senke. Nein, Sie müssen ihr privates Wörterbuch jetzt nicht aufbrezeln. Das ist grade nur für mich, denn ich muß die Dinge erst einmal in Gedanken genau benennen können. Wie sollte ich sonst als Autor über die Runden kommen, wenn ich über was auch immer schreibe und das Inventar der Szenen nicht kenne?

Es bleibt dabei unerheblich, ob das Zeugs dann in einem Text auch vorkommt. Ich muß mich auskennen. Und da ich vor allem gerne Gedichte schreibe, erscheint all das überhaupt nicht , verschwindet hinter dem Metaphorischem. Außerdem hätte ein Wort wie Bemessungshochwasser in meinen Gedichten absolut nichts zu suchen. Dieses Herunterbrechen eines Inhalts auf Eindeutigkeit steht dem, was ich als Lyriker zu tun hab, ziemlich radikal entgegen.



Abspannportal der 110 kV-Leitung

So gesehen führe ich ein durchaus seltsames Leben, denn es tut sich sehr viel, mit dem ich mich vertraut mache, was dann aber weit im Hintergrund bleibt, weil es in meinen Gedichten niemals genannt wird. Man könnte sagen, es ist ziemlich viel Aufwand für ein paar Dutzend Gedichte in einigen Jahren. Aber so ist eben das Leben in der Kunst. Ich kann es nicht ändern; will es auch gar nicht ändern.

+) Elektrizität
+) Wasserstand
+) Krusches Lyrik

[Kalender] [Reset]