22. Jänner 2023

Komparse


Der Standard brachte heute einen Bericht über Marie Kreutzer, die Regisseurin des Films „Corsage“. Der Text nennt die APA als Quelle. Darunter stehend fand ich einen kuriosen Kommentar von einer Person, die sich „Fred Feuerstein 2000“ nennt. Da heißt es: „Moralisch das Richtige wäre es den Film zurückzuziehen. Interessant dass gerade die Kunstszene, die sofort immer die Moralapostel gibt, das nicht vehementer einfordert.“

Wer ist denn „die Kunstszene“? Wen meint er? Weiß er überhaupt, wovon er da schreibt? Was ist ein „Moralapostel“? Was genau sollte meine Branche einfordern? An welchem Konzept von Moral nimmt Fred, der Feuerstein, hier Maß? Er verrät es nicht, haut bloß so eine dreiste Meldung raus.


Lebten wir noch unter Metternich, ich hätte Verständnis, daß jemand anonym bleiben mag. Weshalb maskiert er sich heute, während er uns belehrt? Aber die Botschaft sollte in jedem Fall eine mindeste Genauigkeit aufweisen. Hat sie nicht. Pure Polemik. Solche Postings sind also bloß Bassena-Tratsch. Boulevard. Bedeutungsloses Betriebsgeräusch einer Figur, die das Moralgeschäft offenbar an „die Kunstszene“ delegieren möchte.

Nun zur Sache. Ich finde den Film sehenswert und kam bezüglich meiner Ansichten über Sisi sehr ins Grübeln. Daß nun ein Schauspieler, ich nennen ihn hier einfach Franz Joseph, sich als Straftäter entpuppt und mutmaßlich eines Verbrechens angeklagt werden wird, hat bei mir darauf überhaupt keinen Einfluß.

Votiert hier jemand für ein Scherbengericht oder die Wiedereinführung eines „Volksgerichtshofes“? Nein? Dann warten wir bitte ein ordentliches Verfahren und einen formellen Schuldspruch ab, bevor wir von anderen Leuten große Maßnahmen verlangen. Ich gehe davon aus, daß die Branche derzeit rund um Franz Joseph ohnehin Konsequenzen zieht, was den Umgang mit ihm angeht. Aber Fernbefunde und Ferngerichtsverfahren von Hobby-Kriminesern? Richtig! Bassena-Tratsch und Boulevard.

Dieser Täter ist mir vollkommen egal. Nicht er bewegt mich, sondern das Thema. Ich nenne den Mann deshalb Franz Joseph, weil ich als Film-Produzent den Namen dieses Schauspielers aus allen diesbezüglichen Dokumenten tilgen würde. Ich ließe von ihm bloß Geist übrig, einen Statisten, der im Film eben ein paar Sätze hat.

So hab ich das als junger Kerl im Grazer Schauspielhaus erlebt, wo ich mir einst als Komparse Geld verdienen konnte. Manche Statisten - sie standen im Rang über uns - bekamen in Stücken einen einzelnen Satz oder mehrere Sätze. Sie wurden aber nirgends namentlich genannt. Wir alle blieben dem werten Publikum unbekannt.

Ich würde daher, wenn es nach mir ginge, den Namen von Franz Joseph völlig aus dem Kulturbetrieb löschen, ihn also auch nicht für den Boulevard und den kommenden Circus Maximus zur Verfügung halten. Es sollte im öffentlichen Leben sein, als wäre er nie dagewesen. Staatsanwaltschaft und Gerichte haben sich ohnehin mit ihm zu befassen.


Wir alle haben derweil schon längst in jedem Lebensbereich mehr als genug zu tun, an den Bedingungen von Tätern zu arbeiten. Bedingungen, die das Handlungsfeld von Leuten mit dem Hang zur sexualisierten Gewalt extrem einengen. Wir hätten auch längst genug zu tun, die Produzenten und Vertreiber von solchem Schund mit allen gesetzlichen Mitteln zu jagen.

Wir hätten schließlich gut zu tun, an unseren eigenen Lebensbedingungen zu arbeiten, das laute Schweigen zu brechen, damit das epidemische Ausmaß der innerfamilären Gewalt in Österreich drastisch runtergefahren werden kann; auch daß Gewalt gegen Frauen und Femizide schnell immer unmöglicher werden, daß wir im Umgang miteinander das Verächtliche und die Gewaltbereitschaft bannen und jene ächten, die sich sowas anmaßen. (Ich brauch keinen Franz Joseph, um das zu sehen.)

Klartext
Wäre noch offenzulegen, aus welche Position ich diese Ansichten vertrete. Ich kenne die Situation, nämlich Peinigern ausgeliefert zu sein. Ich kenne die Verzweiflung, wenn jene Erwachsenen, die einen beschützen sollten, wegschauen, nicht hinhören, derart zu Komplizen werden. Ich habe Dinge kennengelernt, die es nicht geben dürfte. Ein Kind ist davon mehrfach überwältigt. Durch die primären Handlungen, durch das Verlassensein und dadurch, daß es nicht begreifen kann, warum das geschieht, was geschieht.

Ich kenne bis heute in mir deutliche Reaktionen, wenn ich auf diese Themen stoße. Da ist ein Rest von Schrecken, der nicht schwindet. Ich bin meinen einstigen Peinigern und den Komplizen gegenüber immer noch vollkommen unversöhnlich gestimmt, selbst in etliche der Gräber hinein. Und deshalb meine Vorstellung, solche Pfeifen zu namenlosen Komparsen umzudeuten.

Ich hab diese Gravur in mir, wie sie solche Menschen an einem hinterlassen. Diese eine banale, erniedrigende Botschaft: „Dich braucht es nicht mehr zu geben.“ Es ist eine erhebliche Anstrengung, dem zu widersprechen. Deshalb habe ich für solche Kanaillen heute bloß noch dieses Sätzchen übrig: „Du Komparse!“

+) Kulturpolitik

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