4. Dezember 2022

Gelehrsamkeit


Dieser verhangene Sonntag. Der anhaltende Nieselregen. Viel zu wenig, denn ich sehe die Wasserstände rundum sehr niedrig. Vor meiner Wohnungstür liegt wieder die große, dichte, unsichtbare Barriere. Eine Art quantenphysikalische Schaumrolle, deretwegen ich oft dieses Gefühl habe: Ich sollte zuhause bleiben.

Das läuft dann so. Nach einem weiteren Kübel Kaffee gehe ich unter die Dusche, steige danach in frisches Gewand, um mir draußen den Arsch abzufrieren. Es fiele mir nämlich nicht ein, nach dem Schirm zu greifen. (Das käme nur dann in Frage, falls ich einen Termin hätte, bei dem ich nicht in völlig derangiertem Zustand auftauchen sollte.)


Nun gilt es, für solches Wetter meine Route so zu wählen, daß ich wieder zuhause sein kann, bevor ich völlig durchnäßt und frierend bin. Ich mag dieses Spiel, zu erleben, wie die Kälte langsam zu mir hereinkriecht. (Natürlich nützt mir dabei die Gewißheit, daß ich mich daheim sofort aufwärmen kann.)

Unterwegs denke ich dann über tausend unnütze Angelegenheiten nach. Zum Beispiel, daß es keine warmen Jacken geben kann, außer die Dinger stünden unter Strom. Die Jacke ist nicht warm, sondern hält meine Wärme bei mir.

Man muß über solche Belange nicht nachdenken. Ich hätte bloß als Autor schlechte Karten, wollte ich in diesen Fragen ungenau sein, weil sich die Ungenauigkeit in einem Text als eine Art Knistern bis Holpern mitteilt. Man nimmt das lesend nicht unbedingt bewußt wahr, aber es macht einen Unterschied. Genau verfaßte Texte holen einen ganz anders ab als das dahingeschluderte Zeug.


Doch eigentlich ging es mir heute um den Gleisbach. Diese Rinnsal quer durch die Stadt. In der aktuellen Überprüfung seines Verlaufs hab ich mich erinnert, wo ich schon überall gewesen bin. (Aber stets ändert sich ein irgendetwas wenig an den Gewässern.)

Ich lerne gerade Wörter kennen, die mir zuvor noch nie untergekommen sind. Begriffe wie Exedra, Sigillataware, Solifluktion, Terrassenflur oder Verkehrszentralität. Wer hätte mir zuvor je etwas von würmischen Murterrassenfeldern erzählt? Oder von einem Gut ad Rapam? Das meint St. Ruprecht an der Raab. Da las ich dann auch Hinweise auf eine ecclesia Rabe, was sich auf die dortige Kirchengründung bezieht.

Nein, selbst ich muß das nicht unbedingt wissen, aber dann doch, denn ich hab mit Fotograf Richard Mayr nun eine Übereinkunft, daß wir uns die gesamte Raab vornehmen und näher ansehen wollen. Das bedeutet, ich muß fünf bis zehn mal mehr erfahren, als sich dann allenfalls in einer Publikation verwenden ließe.

Ich weiß, mir wird sowas gerne als unnütze Grübelei ausgelegt. Man kann freilich erst nach Jahrzehnten einschlägiger Arbeit eine Vorstellung bekommen, was alles in der Erinnerung an wertvollen Details auftaucht, wenn man sich etwas Neues vornimmt. Das ist oft noch keinerlei Ergebnis, aber es stellt die Weichen für so manche Frage oder Recherche, für so manche Überlegung, auf die man sonst nicht gekommen wäre.

Es gibt ein altes Wort dafür, das heute – wie mir scheint – keine nennenswerte Bedeutung hat. Gelehrsamkeit. So also steige ich durch den Nieselregen, bis mich die Kälte beißt. Mein linker Bergschuh quietscht beim Auftreten, also muß ich damit bald zum Schuster, sonst kann das Wasser rein. Was ich derzeit erhebe und vorfinde, wird nun schrittweise hier zuammengefaßt:

+) Die regionale Matrix der Gewässer


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