3. Dezember 2022

Advent


Junge Leute singen unter Lichterketten was das Zeug hält. Es hallen weihnachtliche Klassiker. Manche der Youngsters haben ein plüschiges Rentier-Geweih auf dem Kopf, andere rote Zipfelmützen mit weißem Saum. Ortshonoratioren verkünden „Die schönste Zeit im Jahr“ oder beschwören wahlweise, was man zur Zeit downtown Gleisdorf an Wunderbarem erleben könne.

Ich verstehe das! Einerseits brauchen Menschen verständliche Codes und überdies Rituale, an denen man teilnehmen kann, denn wie sonst sollte jenseits privater Bindungen ein „Wir“ entstehen? Genau das ist unverzichtbar, um der Wildnis widerstehen zu können, um Zonen eines guten Lebens schaffen und sichern zu können.


Andrerseits haben wir durch die Pandemie-Erfahrugnen und durch den Krieg Rußlands gegen die Ukraine eine neue Gelegenheit, um zu üben, wie wir mit Einbußen an Wohlstand und Komfort umgehen möchten. Haben Sie auch dieser Tage die neuen Stromtarife übermittelt bekommen? (Und in meinem Fall kurz darauf die Betriebskostenabrechnung der Hausverwaltung.)

Oh ja, da sind ein paar schmerzliche Sprünge notiert. Nein, das regt mich überhaupt nicht auf. Was wäre denn aus den letzten zwei Jahren heraus anderes erwartbarer gewesen, als solche schlechten Nachrichten? Durfte jemand annehmen, der Lauf der Welt werde uns nicht erreichen und der aktuelle Wohlstand sei uns garantiert?

Egal! Heute also, beim Weg durch die Stadt, solche Posen des Behagens. Ich fand das offene Feuer in dem eisernen Korb am attraktivsten. (Das ganze elektrische Lametta löst bei mir nur Schulterzucken aus.) Dann ist da aber noch ein Punkt, der freilich ins Dunkel rückt, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwindet. Vor dem Rathaus dieses Banner mit der Aufschrift: „Frei leben ohne Gewalt“. Eine Botschaft von „Terre des Femmes“.


Da frage ich Sie nun: Wie ist das möglich? Tag um Tag begegne ich Menschen in passablen Verfassungen. Alles im Lot, was Österreich aengeht? Faktum bleibt: die innerfamiliäre Gewalt hat in diesem Land noch immer epidemische Ausmaße. Der Anteil an Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist dabei himmelschreiend. Nichts ist im Lot.

Ich kann mich nicht erinnern, wann mir auf der Straße zuletzt auch bloß jemand in den Weg getreten wäre. Ich muß bei uns nicht auf der Hut sein, nie und nirgends, selbst wenn ich um zwei Uhr nachts irgendwo unter dürftigem Licht in der Gegend herumsteige oder eine Tiefgarage betrete. Ich brauche nie daran zu denken, daß mir etwas geschehen könnte. Als breit gebauter Mann mit erheblichem Kampfgewicht kommt es noch nicht einmal vor, daß mir jemand im Weg stünde, ohne auszuweichen.

Wenn ich aber dann, wie eben bei unserer Vernissage, mit Frauen darüber rede, zeigt sich eine völlig andere Situation. Frauen müssen im Alltag auf der Hut sein, mit Ungelegenheiten rechnen; und zwar entlang einem Katalog von Situationen, wo sie Männern besser ausweichen. Und noch jede Frau, mit der ich darüber gesprochen hat, wußte von einschlägigen Erfahrungen zu erzählen.

Weihnachten? Die schönste Zeit im Jahr? Und wir haben diesen Mißstand nach den letzten Jahrzehnten immer noch nicht ausgeräumt, wenigstens auf ein Minimum runtergedrückt? Ihr könnt mich mit „Fröhliche Weihnachten“! (Das sollte alles längst erledigt sein!)


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