24. November 2022

Öffentlicher Raum als politischer Raum


Als ich gestern Einkäufe zu erledigen hatte, kam ich an der Kasse eines Geschäfts mit einem Handlungsreisenden zusammen, welcher mit der Kassiererin einig zu sein schien: „Es ist im Moment überall so.“ Man bekommt nicht die Anzahl an Personal, das gebraucht wird.

Ich höre das nun, seit wir Erfahrungen mit der Corona-Pandemie gemacht haben, so häufig wie nie zuvor. Dazu kenne ich aktuell zwei Standardantworten: a) Es müssen bessere Löhne bezahlt werden. b) Das Arbeitslosengeld ist zu hoch.


Ich traue simplen Antworten recht wenig. Vor allem, weil ich mich nicht klüger fühle, wenn ich sowas höre. Außerdem bin ich von einer neuen Bourgeoisie umgeben, die mir gelegentlich eine erstaunliche Borniertheit zumutet und komplexe Zusammenhänge bedenkenlos verkürzt.

Wie rührend waren etwa Lokalpolitiker der Gleisdorfer ÖVP, die mir vor einer Weile mit Nachdruck zu verdeutlichen suchten, daß Karl Marx der „Begründer“ eines „mörderischen Systems“ sei, dessen Werk man nicht anzufassen brauche.

Man kann also auf die bemerkenswerten Analysen von Marx verzichten, nachdem in Graz eine Kommunistin Bürgermeisterin geworden war und wir uns bis heute nicht erklären können, wie sie ihren Vorgänger, einen ÖVP-Bürgermeister, bei der Wahl schlagen konnte? Okay. Geschenkt!

Wenn ich hier „die bemerkenswerten Analysen von Marx“ betone, dann meine ich, daß ich kaum etwas aus der Zeit kenne, was bezüglich der Industriellen Revolution und ihren Konsequenzen so aufschlußreich ist, wie die Arbeit von Marx. (Naja, man könnte wenigstens Polanyi gelesen haben, falls man als Politiker im Wirtschaftsressort reüssiert.) Aber das ist ohnehin Vergangenheit und muß einen bei den aktuellen Mühen in der Alltagsbewältigung nicht plagen.

Wer allerdings, wie einige Kräfte der regionalen Politik, sich laufend via Social Media äußert, was bedeutet: den öffentlichen Diskurs mitgestaltet, sollte a) insgesamt etwas anspruchsvoller und b) etwas genauer sein. Weshalb? Weil es zum Beispiel hohe Inkompetenz ausdrückt, wenn Marx auf solche Art verkürzt, zumal in Zeiten, das uns die Industrie tiefgreifende Umbrüche beschert.


Ich bleibe bei diesem speziellen meiner Mantras: Der öffentliche Raum wird durch leibliche Anwesenheit zum politischen Raum. Wie aber kommt darin das Politische zustande? Indem die leibliche Anwesenheit, ergänzt um die mediengestützte Telepräsenz, öffentliche Diskurse mitträgt. Plural! (Denn es gibt nicht „Die Öffentlichkeit“ und auch nicht „den“ öffentlichen Diskurs, sondern allerhand Konglomerate und diverse Chöre mehr oder minder qualifizierter Stimmen.)

In der Wissens- und Kulturarbeit sowie in der Kunstpaxis werden Beiträge zu diesen Themen erarbeitet. So bin ich in der Kulturspange beispielsweise mit Nikolaus Dimmel und Joachim Eckl in Kontakt. In ihrem Essay „Proberaum: Experimentalräume sinnstiftender Tätigkeit“ heißt es unter anderem:

„Augenfällig ist das meritokratische Leistungs- und Aufstiegsversprechen zerbrochen. Arbeit lohnt für einen wachsenden Teil der Erwerbstätigen nicht mehr. Soziale Aufwärtsmobilität durch Arbeit bleibt für den Großteil der Zeitgenoss:innen bloßer Rückverweis auf „gute alte Zeiten“. Die Erosion der Mittelschichten ist ein soziologisch gut befundetes Faktum. Betroffene können sich mit Einkommen aus Erwerbsarbeit am Leben halten und (noch) ein Dach über dem Kopf behalten. Mehr aber nicht.“

+) Der milde Leviathan (Kulturspange)
+) Die neue Bourgeoisie

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