18. Oktober 2022

Resolutiönchen

Um nun den formellen Teil dieser Leiste abzuschließen: Ich habe aus dem Rathaus ein Sträußchen moderater Antworten erhalten. Nett! Demokratiebeflissen. Aber ohne jede inhaltliche Reaktion darauf, daß die Gleisdorfer Unruhe neben all den redlich besorgten Leuten ganz wesentlich von einer rechtsgerichteten Goldgräberschar belebt war.

Aufgrund meiner Begegnungen, Gespräche und Recherchen läßt sich zusammenfassen: Hier trafen und besprachen sich Antisemiten, Hitlernostalgiker, Nazi-Romantiker und Neofaschisten, aber auch Putin-Fans und Anhänger von Nordkorea; nebst allerhand esoterisch bewegten Personen.



Der große Zulauf ist verebbt, die Probleme bleiben.

Darüber ließe sich womöglich hinweggehen, wenn diese Mischung von Leuten nicht den öffentlichen Raum Gleisdorfs Wochen und Monate belegt und bespielt hätte.

Darüber ließe sich womöglich hinweggehen, wenn diese Mischung von Leuten nicht Netzwerkarbeit geleistet und Propaganda verbreitet hätte, sich nun hinter den Kulissen weiter verdichtet.

Darüber ließe sich womöglich hinweggehen, wenn diese Mischung von Leuten nicht in einer Tradition stünde, die da lautet: Seit wenigstens 40 Jahren ist die „Neue Rechte“ quer durch Europa aktiv, ist darum bemüht, sich in allen denkbaren gesellschaftlichen und politischen Einrichtungen zu etablieren.



Beschwörung und Pose als Deckmantel.

Darüber ließe sich womöglich hinweggehen, wenn nicht klargeworden wäre, daß in Putins Umfeld neofaschistische Kräfte wirksam sind, die – so wie Alexander Dugin – in den letzten Jahrzehnten einen fruchtbaren Austausch mit der „Neuen Rechten“ des westlichen Europas gepflegt haben.

Darüber ließe sich womöglich hinweggehen, wenn nicht klargeworden wäre, daß wir mit den Social Media eine völlig neue informationelle Sphäre entwickelt haben, die unser Politik verändern wird, wie sie unser Gemeinwesen schon verändert, indem zum Beispiel wesentliche Diskurse mit Privatmythologien korrumpiert werden.

Gleisdorfs Intelligenz konnte sich so gut wie kaum aufraffen, in den öffentlichen Diskurs einzusteigen, um den Anspruch auf Deutungshoheit jener Obskuranten anzufechten. Ich finde keinen öffentlichen Diskurs, der sich dieser Entwicklung stellt und das eigene Feld absteckt.



Sprachlosigkeit als Geste

Wie auch immer bisher Erinnerungsarbeit stattgefunden haben mag, sie bleibt offenkundig an ihre „Feiertage“ und an eigeführten Rituale gebunden. Außerhalb solcher Folklore kann ich nicht feststellen, daß die ideologische Herausforderung durch die „Neue Rechte“ angenommen würde.

Ich stelle fest, daß im Rathaus Partikularinteressen der einzelnen Formationen und Personen verfolgt werden. Ein gemeinsames Bekenntnis zu Grundlagen der Republik hält offenbar niemand für nötig, ein gemeinsames Auftreten in dieser Sache auch nicht. (Ich muß mich offenbar auch auf meiner Seite der Demokratie mit der Präsenz von „Altenativen Narrativen“ einrichten.)

Ich darf also davon ausgehen, daß Menschen in meiner Umgebung die Demokratie für ein Geschenk halten, das ihnen einigermaßen sicher ist. Ich denke dagegen, daß sie das Ergebnis laufender Arbeit ist. Wenn über den Toren von Auschwitz und jenen anderer Konzentrationslager dieses zynische „Arbeit macht frei“ stand, dann sollten wir daraus schließen: „Freiheit macht Arbeit“.

+) Der Brief


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