20. August 2022

Die poetische Rußland-Exegese

Es boomt in meiner Umgebung. Bertha von Suttner wurde wieder ausgegraben. Ömpörung hat ein Revival. Nach der lähmenden Hitze des August kühlt sich das Wetter ab, also steigen die Temperaturen der Gemüter.

Gleisdorfs Unruhe [Link] ist ruhiger geworden. Corona-Kritzeleien haben in der Innenstadt ebenso abgenommen, wie die Sticker-Flut mit ihren erbaulichen Inhalten. Die Herzen brauchen Stoff. So hat es nun die poetische Rußland-Exegese in eine nächste Runde geschafft.

Ich bin da vergleichsweise simpel gestrickt. Pfeif auf jede Vorgeschichte, wenn ich aktuell von einem Angriffskrieg lese, vom Bruch des Völkerrechts und von Kriegsverbrechen, was konkret zweierlei meint: die Verwendung geächteter Waffen und das vorsätzliche Töten von Zivilpersonen durch reguläre Einheiten (Angriffe auf zivile Ziele eingerechnet).


Da brauche ich keine Diskussion über Rußlands Gründe. Das ist ein klarer Ausgangspunkt, um eine amtierende Regierung zu bewerten. Aber ich denke natürlich auch ganz gerne die paar Takte weiter. Räuberhauptmann Putin und seine Gang haben aus der eigenen Bevölkerung längst rausgeholt, was sich rauspressen ließ.

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat ein paar altbekannte Funktionen. Er betont den „Außenfeind“, was helfen kann, innere Unruhen zu stabilisieren. Doch genau dafür ist auch ein anderer Kriegszweck unverzichtbar. Das Abfackeln überzähliger junger Männer, die zu Hause nichts werden können. Knaben, die zu Männern werden und aufstreben, bilden eine zentrale innenpolitische Gefahrenquelle für jedes Regime.

Wie praktisch, wenn man einen Teil davon über einen Feldzug entsorgen kann, um die anderen Youngster adäquat einzuschüchtern. Apropos einschüchtern. Das läuft in Rußland ja wie geschmiert gegen alle Forman kritischer Einwände. Aber nun wachen hier im Oststeirischen einige Kleinbürger aus dem Halbschlaf auf, wie etwa ein vormaliger Kulturreferent Gleisdorfs.


Der fand fast 30 Jahre kein Thema, mit dem er sich im Gemeinwesen anregend hervorgetan hätte. Aber nun hat er eines. Dieses unter gehabten Provokationen und anderem Kummer leidende Rußland. Egal, daß Putins Personal die Neue Rechte in Europa über Jahrzehnte unterstützt hat und demokratische Einrichtungen zu diskreditieren versuchte, wo es nur ging.

Von illegalen russischen Interventionen in Amerikas Innenpolitik rede ich nicht, das ist mir ein Thema zu viel im Katalog. Aber wer hier die Klappe aufreißt, sollte wenigstens einrechnen, daß der westlich konstituierte Teil Europas seit dem Zweiten Weltkrieg ein sicherheitspolitisches Protektorat der USA ist. Das hat uns viel Geld erspart, welches sich zugunsten unseres Wohlstandes verwenden ließ.

Nun spreche ich nicht für amerikanische Außenpolitik, sondern für die dringend und drängende Notwendigkeit, die Wirtschafts- und Sicherheitspolitik Europas in Eigenverantwortung auf die Höhe der Zeit zu bringen. Derlei Debatten wären mir derzeit wichtiger als das Erkunden von russischem Nationalkitsch, der es inzwischen zum Neofaschismus gebracht hat und uns die Kriegsgründe Putins versüßen soll.

Ist ja nicht so, daß wir mit Österreichs Innenpolitik schon im Reinen sind und uns daher außenpolitische Agenda entsprechend klar wären. Für mich beginnt das alles vor der Haustür; bei der Lokalpolitik. So stelle ich mir das vor. Fundierte Beiträge zu den öffentlichen Diskursen und politische Anwesenheit da, wo man steht. Von so einem Ausgangspunkt mögen einzelne Personen ein nächst höheres Organisations- und Wirkungsniveau erreichen. Der meiste Rest ist, wenn man nicht aufpaßt, Boulevard.

+) Asien und der Rest


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