17. August 2022

Inverser Voyeurismus

Was immer mir durch den Kopf tobt, löst höchst unterschiedliche, oft widersprüchliche Prozesse aus. Derzeit hat „Der milde Leviathan“ einigen Vorrang und kaum ist die Entscheidung zur Themenstellung für einen neuen Arbeitsabschnitt gefallen, schon vertiefen sich skeptische Überlegungen.

Ich bin mit „Fahrenheit reloaded“ zufrieden und muß mich nun in diesem Themenbogen selbst erst zurechtrütteln. Währenddessen umspülen mich all die großen Themen von Relevanz und mir gehen die Ignoranten ebenso auf die Nerven, wie jene Plaudertaschen, die grade großspurig auf Friedensengel machen.


Exegeten und Prediger, von denen bisher noch nicht einmal der kleinste Hinweis kam, wie man wenigstens einen Rüpel aus unserem Alltag zur Verhaltensänderung bewegt, von einem schwer bewaffneten Räuberhauptmann, hinter dem eine ebenso bewaffnete Gang steht, ganz zu schweigen.

Die größten Schwätzer nennen uns grade Bertha von Suttner. (Gähn!) Diesen Namen wollten sie vermutlich schon Ratko Mladic ins Ohr flüstern, aber es hat sich halt nicht ergeben. Ich bin da eher für Menschenmaß und konkrete Handlungsoptionen. Zuallererst: Ich kann und will mich nicht um alle bedeutenden Themen kümmern, die mich dank aktueller Medientechnologie Tag für Tag erreichen.

Da wäre ich emotional bloß noch im Elend und müßte mich vermutlich spätestens nach einem halben Jahr von einer Brücke schmeißen. Schließlich: Die Übel der Welt einfach nur zu nennen und dazu via Social Media permanent Links zu Berichten aufzuhängen wie nasse Wäsche an einer endlosen Leine, das ist kein politisches oder soziales Verhalten, das ist eine eitle Ersatzhandlung, eine Art inverser Voyeurismus.


Ich mach das so: Es gibt Themen, die mir liegen und Themen die mich berühren. Dafür brauche ich meine Zeit, um mich sachkundig zu machen, um mir so ein Thema halbwegs zu erschließen. Währenddessen erprobe ich verschiedene Varianten, um damit nach draußen zu gehen; einerseits via Medien, andererseits in realer soziale Begegnung.

Nun hab ich zwar zu allem eine Meinung, kann mich aber nur um relativ wenige Themen fundiert kümmern. Alles andere durchzudeklinieren halte ich für Boulevard, für Bassena-Geschwätz. Außerdem muß mir genug Platz zur persönlichen Alltagsbewältigung bleiben, aber auch für Menschen, die mir nahestehen. Da bin ich dann schnell ausgelastet und es bleibt mir nur begrenzter Raum für die großen Themen dieser Welt. Ich geb Ihnen ein Beispiel, was etwa Platz haben muß.


Gestern kamen Fotos, die mir mein Sohn Gabriel unter dem Titel „Aktuelles Projekt“ schickte. Zuerst fiel mir dabei ein beeindruckender Holzhammer auf, von dem ich dann gleich noch eine Großaufnahme bekam. Dieses Monster sieht aus, als wäre es vom Set einer Comic-Verfilmung geklaut worden. (Es hat sogar einen launigen Namen, doch das sind Familieninterna.)

Ich kann Ihnen dazu ein kleines Beispiel geben, unter welchen Bedingungen ein Vater sehr vergnügt ist. Gabriel schrieb mir zum gesamten Set: „Wenn‘s schiefgeht, eben aufstemmen und neu betonieren. Wenn’s klappt, bin ich glücklich.“ Sie mögen es für banal halten, doch das ist Ausdruck eines ziemlich smarten Zugangs zum Leben.

+) Der milde Levithan


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