15. August 2022

Verpeilte Paranoiker

Wie kommt es, daß ich manchmal auf inspirierte Menschen treffe und wir finden ebenso ansatzlos wir mühelos Übereinkünfte? So war es jüngst bei meinem Indoor-Wandertag in Neudau. So war es tags darauf bei meiner Wierbsinski-Session hinterm Gleisdorfer Rathaus.

Weshalb erlebe ich eine Bäuerin wie Carmen Dreier-Zwetti völlig auf Augenhöhe, ohne daß wir uns darum hätten abmühen müssen, aber ich begegne manchmal Künstlern, da bekomme ich nach drei bis fünf gewechselten Sätzen ein Ziehen in den Zähnen, weil sie sich so aufplustern? Ich weiß es freilich längst.


Von Künstlerin Monika Lafer hab ich den Satz behalten: „Das Hirn ist ein Minimalist.“ Es kam in einer Debatte darüber vor, daß manche Menschen bloß das Nötigste leisten, um eine Vereinbarung zu erfüllen; gelegentlich nicht einmal das. Lafer meint, das sei evolutionär. Es ginge im Kern ums Überleben. Was darüber nennenswert hinausreicht sei eigentlich Luxus.

In der Praxis führt das eventuell zum Motto: „Fake it till you make it.“ Pose zählt, wird schon was dabei herauskommen. Lafer war, ich weiß jetzt nicht, mehr tröstlich oder mehr unerbittlich darin, mir zu verdeutlichen: Es ist doch nicht persönlich gemeint, wenn mich wer übern Tisch zieht. Das ist rein geschäftlich. (Sie hat wohl recht!)


Gut. Diesem Minimalismus im Handeln steht oft ein Maximalismus im Spücheklopfen gegenüber. (Ich nenn das „Superismus“.) The ulitmate..., the best ever…, the greatest… Eh klar! Aber auch auf dem Kunstfeld? Da genauso! Aufgefettet durch jenes Personal aus Verwaltung und Management, das gerne auf unseren Trittbrettern mitfährt, sich manchmal sogar über uns aufschwingt, denn sie sind ja die besseren, die professionelleren Primärkräfte. („Das Einzige was stört, sind die Künstler!“)

Übertreibung? Mag sein. Ich hab mich – dank fortgeschrittener Läuterung – um Versöhnlichkeit bemüht und bin (auf dem Weg über den Wald von „Fahrenheit 451“) bei meiner Kontinentaltheorie angekommen, die sich im Sinn der Evolution plausibel machen läßt. Dazu nutze ich Denkanstöße, die ich vom forensische Psychiater Frank Urbaniok bezogen hab. Stellen wir uns zwei idealtypische Urmenschen vor.


Der eine ist Realitätssucher, darum bemüht Nuancen zu erkennen, Details zu unterscheiden. Er sucht zu begreifen, was genau ihn umgibt und was der Fall ist. Der andere ist ein verpeilter Paranoiker. Dank niederer Reizschwelle bleibt er sein Leben lang etwas schreckhaft. Als Liebhaber von Komplexitätsreduktion ist er mit einem eher schlichten Weltbild ausgerüstet.

Das sind die Stifter zweier gänzlich verschiedenen Kulturen, die auf einem gemeinsamen Kontinent unvereinbar blieben. Also mußten sich diese Kulturen zwei separate Kontinente suchen, um sich zu etablieren, um zu bleiben. (In diesem Sinn ist meine Kontinentaltheorie zu verstehen.)


Die Referenzsituation: es raschelt im Gebüsch. Der Realitätssucher hat zu unterscheiden gelernt. Es ist der Wind. Oder eine Gazelle. Oder ein Vogel. Oder ein Löwe. Oder ein Nachbar. Oder Besuch von einem anderen Stamm.

Der verpeilter Paranoiker denkt immer nur: „Löwe!“ und rennt. Von ihm dürfte ein dominanter Teil unserer Leute abstammen, denn der Realitätssucher deutet das Rascheln gelegentlich falsch. Einmal war es dann der Löwe, das Wegrennen ging sich nicht mehr aus.

Langfristig sind verpeilter Paranoiker mit ihrer Komplexitätsreduktion und dem simpleren Weltbild vermutlich der erfolgreichere Stamm. Denn, so Lafer, das Hirn ist ein Minimalist.

+) Der milde Levithan


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