Also naheliegend, daß ich beim Durchstreifen der weitgehend
verlassenen Industrie-Anlage die reale Struktur sofort mit
einem Gedankenpalast assoziiert habe. Ein Modus, um in einem
Vexierbild spazieren zu gehen. Verschiebe ich den
Blickwinkeln bloß wenig, blicke ich auf eine andere
Realität. (Ich kann beliebig hin- und herwechseln.)
Architekt Winfried Lechner, der für uns den Zugang zu diesem
Objekt arrangiert hat, ist gewissermaßen professionell mit
der Bewältigung von Raum befaßt. Doch ein zweiter Gedanke
macht klar: Komponistin Germaine Sijstermans natürlich
ebenso. Auch wenn es eine Innenwelt geben mag, in der sich
Musik ereignet, ab da braucht sie Raum und Atmosphäre, um
stattzufinden.
Winfried Lechner (rechts) mit Haushofmeister Severin
Für Künstler Joachim Eckl ist das Pendeln zwischen
unterschiedlichen Raumkonzepten offenbar Standard. Über
Künstler Marcus Kaiser hatte ich schon erfahren, daß er
nicht bloß Cello spielt (ein Ereignis im Raum!), sondern
auch konzeptionell so unterwegs ist, daß manches Werk sich
in einer bestimmten Kubatur einlöst. Eckl sagt dazu:
„Vivarium!“ Er hat gegrinst, als ich einige
Einladungskarten durchsah und Kaiser übern Tisch hinweg
zurief: „Du bist schon merkwürdig!“
Auf
einer Karte stand nämlich „Großes Grünes Bild (2014-2018)“.
Das war noch nicht verwunderlich und ebenso plausibel:
„Pigmenttusche, Bleistift, Aquarellfarbe auf Papier“. Aber
dann kam es: „152 x 278 cm“. Eckl setzte nach: „Ach,
jetzt wird grade eines mit fünf Metern.“ Naja, das
finde ich überaus merkwürdig. „Das ist bei Dir was
Obsessives, hm?“ fragte ich Kaiser beim Abschied. Er stimmte
zu.
Sätze, die im Raum bestehen. Gedanken, die sich
manifestieren. Das symbolische Denken, wenn es sich in
greifbare Formen überträgt. Aber auch die Raumüberwindung.
Zum Beispiel als individuelle Mobilität. Und dann natürlich
die Assoziation mit Thomas Hobbes.
Es mag in Fragen der Regionalentwicklung problematisch
erscheinen, daß diese Textilfabrik liquidiert wurde und nur
die Hülle blieb. Zur Erinnerung: Es begann 1789, als Graf
Karl Batthyány (Herrschaft Burgau) die Aufgaben eines
österreichischen Diplomaten in England erledigte und daher
von den neuen Anwendungsbereichen jener Dampfmaschinen
wußte, die James Watt optimiert hatte.
Es war recht
teuer, eine Spinnmaschine und zwei Strickmaschinen nach Wien
schmuggeln zu lassen. So kamen schließlich Wirkungen der
Ersten Industrielle Revolution nach Neudau. Mit der
Digitalen Revolution ereignete sich die Dritte Industrielle
Revolution, die nun ihrerseits längst in etwas umgebrochen
ist, das uns noch nicht klar vor Augen steht. (Nächste
Automatisierungswelle, selbstlernende Systeme etc.) Gesamt
betrachtet ist es also sehr schlüssig, daß der alte
Leviathan, milde geworden ist, unschlüssig, was aus ihm
werden soll, denn da hat etwas Epochales geendet.
+)
Der milde Levithan
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