6. Juli 2022

Zoon politikon

Meister Akira Kurosawa läßt den Ronin Sanjuro (Toshiro Mifune) im gleichnamigen Film „Sanjuro“ von 1962 sagen: „Dumme Freunde sind gefährlicher als Feinde.“ Liegt darin eine Annahme darüber, was kluge Verbündete sind und was sie ausmacht?

Was Freunde angeht, kenn ich vor allem ein vorrangiges Kriterium. Bei einem Freund muß ich nicht auf der Hut sein, muß mich nicht schützen. Das setzt ein wechselseitiges Gefühl von Zugehörigkeit voraus. (Ich hab bis heute keine Idee, woher diese Möglichkeit kommt.)


In letzter Zeit hatte ich einige Gespräche, da tauchte stets diese Überlegung auf, daß wir Menschen ganz wesentlich zwei fundamentale Bedürfnisse haben. Das nach Autonomie und das nach Zugehörigkeit. Autonomie heißt: sich selbst die Regeln geben, heißt: Selbstbestimmung.

Was die Zugehörigkeit angeht, hat uns Platon den Begriff des Zoon politikon hinterlassen. Ich sag etwas schlampig: „Das politische Tier“. Der Begriff meint ein Wesen, das zum Leben in Gemeinschaft tendiert, das also die Zugehörigkeit meist anderen Zuständen vorzieht.

Ich hab natürlich das Gefühl, diese Dinge stünden in meiner Geburtsurkunde: „Der braucht Selbstbestimmung und Zugehörigkeit“. Kleingedruckt: „Und gelegentlich sehr viel Stille“.

Ich sortiere gerade lose Zettel. Eigentlich stehen meine Notizen in Heften. Din A5, kariertes Papier. Alle anderen Varianten kann ich nicht leiden. Und die Stifte mit blauer, wahlweise roter Tinte. Keine schwarze, keine grüne Tinte. Aber zwischendurch lose Zettel.

Auf einem davon sind vier Worte notiert: "Rechtssicherheit, Ernährungssouveränität, Verteilungsgerechtigkeit, Menschenrechte". Meine Leute setzen das als gesichert voraus und beschweren sich, wenn ihnen auch nur ein Teil davon geschmälert erscheint.


Was sich dabei leicht übersehen läßt: Wer das für außer Streit stehend erachtet, hat noch nicht kapiert, daß dieser Katalog weltweit ein Minderheitenprogramm ist. Wie viele Gemeinschaften mag es global geben, die das genauso sehen wie wir? Sehr wenige. Ich meine, wir sind eine Minorität. Und in dieser Anmutung, wir würden von „universellen Werten“ reden, sind wir eine Kuriosität.

Ich notiere das nicht, weil ich solche Inhalte relativieren möchte, sondern weil ich grüble, wie sich derlei Minderheitenprogramm sichern ließe. Welche Konventionen wollen wir also mit den verfügbaren Kräften vorrangig behandeln, etablieren, sichern? Das interessiert mich vor allem angesichts der Meldungen über die Details russischer Waffengänge.

Da wird von ganz konkreten Leuten aus einiger Nähe alles an Waffen eingesetzt, was das Arsenal bietet; auch geächtetes Inventar. Da wird alles platt gemacht, was an Zielen erreichbar ist. Da werden nicht bloß reguläre Einheiten angegriffen, sondern auch Zivilpersonen jeglichen Alters.

Da wird völlig distanzlos vergewaltigt, gefoltert und geschlachtet, werden also Menschen weit diesseits von High Tech-Systemen in direktem Kontakt geschunden und massakriert. Ich denke nun nicht speziell über russische Leute nach, sondern über uns Menschen generell. Das alles ist eine allgemeingültige Demonstration der Conditio humana. Das betrifft uns ausnahmslos und sollte uns hinsichtlich unserer Konventionen beschäftigen.

Was verlangt es von uns, eine Gemeinschaft so stabil zu machen, daß diese Art der Brutalisierung ausgeschlossen bleibt? Denn ich denke, wir müssen für möglich halten, daß sich in ganz Europa Personal für solche Greueltaten finden ließe, egal, unter welcher Flagge die Leute stehen.


-- [Asien und der Rest] --
[Kalender] [Reset]