Das teilen wir doch alle. Wer ist derzeit ohne Furcht? Meine
Neugier gilt all jenen, die nicht von alten Verhältnissen
träumen, sondern diese anderen Zustände spüren möchten. Ich
erlebe das als fast schon verstörendes Kräftespiel.
Es hat eine wuchtige Intensität und verbraucht meine Energie
durch armdicke Kanäle, so daß ich wenigstens ein Drittel vom
Tag und von dem aufgeben muß, wie ich früher in vertrauter
Weise Dinge getan hab. Ich nehme an, wir müssen alle unsere
Kräfteverhälnisse neu kalibrieren.
Es wäre bloß
beunruhigend, wenn es sich nach einem ergebnislosen
Ausbrennen anfühlen würde. So ist es aber nicht. Da
entfaltet sich ein Tätigsein, das irritierend in die Tiefe
reicht. Jeder Tag sickert wie ein Sediment auf neuem Grund
und formt langsam eine – wie mir scheint – tragfähige
Schicht, auf der sich gehen läßt.
Da sind keine
Gewißheiten. Keine Wegweiser. Meine Landkarten bleiben leer.
Vielleicht ist das etwas Verläßliches. Man könnte sagen:
Übergangskarten, weil kein Weg zurück führt, irgendwo
zurück, ganz egal. Es sind lose Blätter, die erst neu
beschriftet werden müssen, die zu nächsten Landkarten der
Bedeutungen werden könnten. Wir werden sehn…
Ich hab
dieser Tage Zeit mit ein paar alten Männern verbracht, die
auf etwas zurückblicken. In sehr berührender Weise habe ich
einen über jene Ära sagen gehört: „Es ist vorbei.“
Sein Blick während dieser Worte ist mir präsent geblieben.
Darin mag eine Spur Traurigkeit gewesen sein, aber auch
etwas von „sich zurücknehmen“, weil daran nichts falsch ist.
Ich mag dieses Bild: Jemand muß das Licht ausmachen. Jemand
muß die Tür schließen. Ich weiß je selbst nicht, ob das nun
ein Zurückbleiben bedeutet oder ein Fortgehen. Genau das ist
in den Umbrüchen so ungewiß. Genau diese Ungewißheit ist
kostbar.
Vielleicht geht es einfach darum, vorerst
etwas zu verweilen, langsamer zu atmen und zu lauschen. Der
große Vorteil des späten Lebensabschnittes liegt darin, daß
nichts Bestimmtes mehr werden muß. Selbst wenn alles enden
sollte, war es so viel. Ich hab keine Ahnung, wie die Jungen
das derzeit schultern.
Aber da es uns als Spezies
seit wenigstens 300.000 Jahren gibt, vielleicht wiederholt
sich genau diese Irritation ohnehin seit jeher von
Generation zu Generation. Was mir für die Kunst gilt, das
gilt auch fürs Leben: Es ist ein Ringen um Qualität und
Vollendung.
Dann wären da noch einige banalere Dinge.
Wie Franz letztens sagte: „Wir werden ja so alt.“
Das war nämlich über tausende Jahre nicht die Regel, sondern
die Ausnahme. Franz: „Wir werden so alt, daß wir noch
erleben, wie alles wieder beschissener wird.“ Was hab
ich gelacht! Das ist wirklich zu komisch; zumal es ja an uns
liegt…
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