1. Mai 2022

Mai. Baum.

Gestern lief das so. Um 14:40 Uhr wurde der Stamm noch dekoriert. Er hing nach wie vor am Heck eines hochbeinigen Hofherr-Schrantz Austro-Junior. Das ist die Lizenzversion von Ferdinand Porsches „Volkstraktor“. Ein Klassiker, den ich noch nie anders als in roter Farbe gesehen hab.


Da entfaltete sich am Gleisdorfer Florianiplatz nun Arbeit für Stunden. Ich blieb aus Neugier dabei, weil mich derzeit immer wieder beschäftigt, wie das in Variationen herging, wenn unsere Leute notwendige Arbeiten ohne Maschinen zu bewältigen hatten. (Die Foto-Signaturen ersparten mir handschriftliche Notizen.)

Vor dem Rathaus die neue Drehleiter. Ein freundlicher Feuerwehrmann bot mir eine Freifahrt an, auf daß ich zu einer interessanten Perspektive für meine Fotos käme. Dreißig Meter in einem Vogelnest über der Erde. Ich mußte dankend ablehnen.


Um zirka 15:00 Uhr wurde der Baum von den Leuten angehoben. Rund zehn Minuten später war das unter Ende des Stammes angespitzt und über der Grube. Ich dachte etwas schlampig, der Maibaum ließe sich mit der Drehleiter anheben, aufstellen und dann verkeilen. Dafür ist die Leiter aber nicht gemacht. Und die Feuerwehrmannschaft besteht bei dieser volkskulturellen Arbeit auf dem alten Modus. Das wird von Hand erledigt.


Rundhölzer, die am oberen Ende Schlingen aus dicken Seilen haben, sind das Hauptereignis des Hubwerks. Diese Schlingen werden mit langen Feuerhaken um den Stamm gelegt und zu Schlaufen gefügt, welche man dann eindreht, um die Schlaufen zu straffen.

Dazu kommen einige Gabeln und Stützen. Das geht dann schrittweise voran. In kleinen Abständen. Etliche Schlaufen müssen dabei versetzt werden. Tempo ist tabu. Die Routiniers wissen: ein Stamm bleibt immer gefährlich. Das fängt schon beim Holzschlagen an im Wald, wo der Baum sich in der Krone drehen und plötzlich die Fallrichtung ändern kann.

Um 16:10 Uhr stand der Maibaum. Die Grube wurde zugeschüttet und das Erdmaterial schichtweise verdichtet. Rund eine halbe Stunde lang waren mit der Motorsäge Kerben in den Stamm zu schneiden, um darin drei Stützen zu verankern. Die wiederum wurden mit groben Hammerschlägen im Boden verkeilt. Knapp vor 17:00 Uhr war alles an seinem Platz. Die Feuerwehrleute formierten sich. Eine Abordnung der Stadtkapelle legte mit einem Paukenschlag los.

Inzwischen war es 17:40 Uhr geworden. Drei Stunden Arbeit, um den Maibaum an der vorbereiteten Stelle in die Senkrechte zu bringen und zu fixieren. Ich hab die Leute nicht gezählt, aber das macht eine Menge Arbeitskraft nötigt. Man ahnt, was der Hausbau einst an Zeit und Leuten verlangt hat, von einem Palais oder eine Burg ganz zu schweigen.

Mir waren die drei Stunden übrigens sehr lang vorgekommen. Vielleicht ein kleiner Hinweis darauf, in welchem radikal anderen Zeitschema wir heute leben. Es trifft ja auch zu. Maschinen haben unseren Lebensrhythmus völlig verändert. Ah ja, 1. Mai, Tag der Arbeit. Das hat eine Menge mit diesem Thema zu tun.


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