31. März 2022
Payer & Kant
Vor einigen Jahren habe ich gemeinsam mit Kulturhistoriker
Matthias Marschik ein Buch über den Steyr-Puch 500
geschrieben. Ich bin Marschik erst einige Zeit nach
Erscheinen des Buches erstmals real begegnet. Das heißt, die
ganze Arbeit am Buch hatten wir in Telepräsenz absolviert,
welche bloß auf unserer Korrespondenz beruhte. Das ist ein
etwas skurriler Modus. [Das
Buch]
Aber für einen Bewohner der Provinz sind
die Webzugänge eine wunderbare Möglichkeit, Standort- und
Ressourcennachteile auszugleichen. Sowohl in der Recherche,
wie auch in der Umsetzung wären seinerzeit erhebliche
Reisekosten angefallen, die extra erwirtschaftet werden
müßten, denn Fachbücher zu Themen, deren Publikum recht
überschaubar ist, generieren keinen Profit, der die ganze
Arbeit abdeckt. (Ein wesentlicher, meist unsichtbarer Teil
von Wissens- und Kulturarbeit!)
Derzeit geht es mir mit Künstler Heinz Payer ähnlich. Wir
sind und noch nie real begegnet, befinden uns in dieser
telematischen Schwebe und da verdichtet sich etwas. Vorerst
ereignen sich online quasi Call and Response. Es ist die
etwas komplexere Entsprechung einer antiquierten
Korrespondenz. Es ereignet sich in Worten und Bildern. Es
ist freilich eine Spur dynamischer als der alte
Briefwechsel.
Das ergibt sich aus der aktuellen
medialen Situation. So nutze ich zum Beispiel Facebook als
einen Salon. Die elektromagnetische Plauderecke. Man ist
gesellig, aber nicht all zu privat. Es gibt viel zu erzählen
und allerhand Austausch. Systeme wie Facebook sind freilich
auch Kanäle, um etwas auszuposaunen, hinauszutragen.
Unter geistreichen Leuten entstehen dann kleine
Dialogsequenzen, die ich aus der Flüchtigkeit der
Facebook-Timeline herausschneiden mag. Ein Beispiel dafür
ist das Foto jener Rohrzange, die ein Monteur vergessen hat.
Ich notierte: „andere wären vergnügt, ein schmuckstück
oder einen geldschein zu finden. mir macht so eine fundsache
freude.“
Payer reagierte mit einer Paraphrase des Bildes und schrieb
dazu: „wer waß als wos sich des noch entpuppt…“
Tage davor hatte er mir ein Doublefeature geschickt, das uns
beide zeigt, wie wir uns aus den Giebelfenstern des
Gleisdorfer Rathauses beugen, während darunter die
Gleisdorfer Unruhe wogt. Die Leute skandieren „Friede,
Freiheit, keine Diktatur!“
Es ist die gleiche Pose, wie sie von
Qanon-Personal, Republikverächtern, Putin-Fans und anderen
Aufgeregten quer durch Europa eingenommen wird, um gegen
Impfreglements und gegen alle Arten kritischer Stimmen außerhalb der
eigenen Community vorzugehen.
Payer und mich darf man wohl
dem Genre „Old School“ zurechnen. Da werden Diskurse geführt und
Gegenpositionen als Gewinn betrachtet.
Wir sind im Kern noch bei Immanuel Kant,
dessen Empfehlung, den Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit
zu suchen, ganz deutlich rät, sich seines Verstandes ohne Anleitung
anderer zu bedienen.
Das meint aber nicht, alle anderen
Ansichten niederzurennen und alle Andersdenkenden zu verhöhnen. Im
Gegenteil! Erst in der Differenz können wir erkunden, was die
eigenen Vorstellungen taugen. Naja, wen schert’s?
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[Große
Ansicht]
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Ich warte übrigens
seit Monaten vergeblich, daß sich Gleisdorfs Fraktionen
politisch klar zu den Vorgängen in der Stadt äußeren, denn eines
ist inzwischen evident: diese Bewegung hat einen hohen Anteil
von Leuten, welche die Republik verachten und das politische
Konzept, auf dem Österreichs nationalstaatliche Ordnung beruht,
gerne kippen würden.
+)
Mai acht
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