28. Februar 2022
Feilen
Die Zähne an der Kante des Würfels
mußten natürlich weg. Also hatte ich zu überlegen, auf
welche der beiden Flächen ich die Feile ansetzen muß, um
diese Spuren zu tilgen. Eine von mehreren Lektionen, die mir
klar gemacht haben, wie intensiv man beim Feilen des
Stahlwürfels sein räumliches Denken schult; oder den Job
wechselt.
Derart deutlich sichtbare Fehler, die
beseitigt werden müssen, sind ja eine Annehmlichkeit
gegenüber den Unebenheiten einer Fläche mit Differenzen von
Zehntelmillimetern. Mit aufgesetzter Winkellehre und gegen
das Licht sehe ich sofort, wo ein kleiner Buckel oder eine
Mulde ist; beide müssen weggearbeitet werden.
Aber sobald ich den Würfel wieder in den Schraubstock
gespannt habe, weiß ich nimmer, wo genau ich nun die Feile
ansetzen soll, um den richtigen Bereich zu ebnen. Meister
Lukas meinte, das komme mit der Übung. Ich bleibe da im
Zweifel.
Die Hierarchie des gesamten Ablaufs sieht so
aus, erst müssen die Würfelseiten zueinander im sauberen
Winkel von je 90 Grad stehen. Dann müssen die Seitenlängen
alle gleich lang sein, was notfalls verlangt, einzelne
Flächen abzusenken, denn: „Dazufeilen geht nicht, nur
wegfeilen.“
Schließlich müssen die Flächen plan
und glatt werden. Dazu gibt es die unglaublich feinen
Schlichtfeilen in mehreren Stufen. Allein das Nachdenken
über diese Aufgaben treibt mir den Schweiß auf die Stirn;
nicht metaphorisch, sondern physisch.
Es ist eine langwierig Arbeit und ich bin in einem Abschnitt
angelangt, wo Langsamkeit im Zugriff eine große Rolle
spielt. Das gibt Raum zum Nachdenken. Wir haben das später
auch am gemeinsamen Tisch erörtert. Wann kam was in der
Menschheitsgeschichte zur Geltung?
Mir hatte schon
gedämmert, wie bedeutend der Rang von Feilen unter den
Werkzeugen ist. Aber ich habe es unterschätzt. Was sind
wichtige Werkzeuge grundlegender Art? Bohrer, Feile, Hobel,
Meißel, Säge… Was wurde nach welchem Werkzeug erfunden?
Womit ich überhaupt nicht gerechnet habe: schon in der
Steinzeit wurden Feilen und Raspeln benutzt. (Siehe die
Grafik unten!) Werkzeuge aus Feuerstein. Derzeit grabe ich
mich in diese Geschichte hinein. Ich habe es geahnt, aber
nicht gewußt. Das Thema und seine Bedeutung sind enorm,
können eher unterschätzt werden.
Ich bin momentan
verblüfft, wie tief diese Entscheidung wirkt, daß ich mich
an den Schraubstock stelle und einen nachsichtigen Meister
zur Seite habe, der mir solche Zugänge eröffnet, mir vor
allem auch bei unseren Gesprächen hilft, manche Aspekte des
Themas richtig zur sortieren.
Die Jahrzehnte seiner
Praxis lassen ihn Prioritäten völlig anders sehen, als ich
oft angenommen hätte. Was ich bisher unter Wissens- und
Kulturarbeit verstanden hab, ist nun nicht um eine Facette,
sondern um eine Dimension erweitert worden.
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