15. Dezember 2021

Narrative

Was, wenn es so ist und jetzt gerade passiert? Ich hab von Historiker Yuval Noah Harari die Idee bezogen, hinter uns lägen drei große Narrative, die nun allesamt erledigt seien. Faschismus und Kommunismus wurden nach dem Zweiten Weltkrieg vom Liberalismus abgelöst. Wie viel Blut dafür vergossen wurde, ist wenigstens für Menschen meiner Generation noch greifbar, weil wir zwei Generationen der Leute von den großen Schlachtfeldern persönlich gekannt haben.

Meine Lebensgeschichte bildet die Narrative ab. Großvater Richard, ein Soldat des Kaisers. Vater Hubert, ein Soldat des Tyrannen. Ich, ein Soldat der Republik. Wenn also nun diese Erzählungen tatsächlich Geschichte sind und ich erlebe die Wirren des Umbruchs, wovon handelt das nächste dominante Narrativ Europas?


Gehen wir erneut in eine Trennung der Imperien und Hegemonien? Erneut Westrom und Byzanz? Wieder ein Eiserner Vorhang? Oder wird es eine ganz andere Geschichte? Welche? (Wird uns China eine Lektion erteilen?)

Momentan bin ich davon irritiert, daß die Neue Rechte ab den 1980er Jahren so weitreichend erfolgreich gewesen ist, daß wir inzwischen einen Neofaschismus vor der Nase haben, dem meine Leute mehrheitlich völlig konfus gegenüberstehen.

Darin profilieren sich dann etliche Herzchen, die via Social Media nur mehr Häme, Spot und Schimpfworte ausstreuen, die das offenbar für den Ausdruck politischen Handelns zeitgemäßer Demokraten halten.

Um es etwas salopp und polemisch zu sagen: Faschisten, Vaterländische und Nationalenthusiasten haben sich in den letzten 40 Jahren neu erfunden, neue Leute nach vorne gebracht, ihr gesamtes Vokabular komplett überarbeitet, ihre Begriffe schlüpfriger gedrechselt, unangreifbarer gemacht. Wir aber nicht. Wir, die wir den Faschismus ablehnen.


Mich beschäftigt derzeit, daß es nötig wäre, exponierte rechte Kräfte nicht mehr mit Hitler, Himmler, Auschwitz und Mengele zu assoziieren, denn dabei entwischen sie uns so leicht. Behalten wir diese Ereignisse als historische Wurzeln im Blickfeld, aber auch als jene Ereignisse, die uns eine gemeinsame Verantwortung auferlegen.

Doch was ich an neofaschistischen Akteurinnen und Akteuren sehe, für die sollten wir ein neues Identifizierungs-Konzept erarbeiten. Auf der Höhe der Zeit. Aus unserer Geschichtskenntnis heraus und eingedenk der diagnostischen Leistungen von Umberto Eco.

Er hat uns Merkmale angeboten, Kriterien eines „ewigen Faschismus“, der nicht jener sein muß, welchen meine Leute in die Welt gebracht haben. Ich zitiere Eco mit meinen Worten: „Wenn man von den Kriterien welche wegnimmt, ist es immer noch Faschismus.“

Aber eben nicht jener der Nazi. Umbero Eco: „There was only one Nazism.“ Aber, wie schon erwähnt: „Fascism became an all-purpose term because one can eliminate from a fascist regime one or more features, and it will still be recognizable as fascist.“

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