26. November 2021

Modalitäten

Ich betrete das Haus, um Freunde zu besuchen. Die Gastgeberin setzt an, mich zu umarmen, stutzt kurz und fragt: „Geht das?“ Na klar geht das. Ich treffe auf einem fremden Anwesen mit Leuten zusammen. Begrüßung per Ghettofaust. Abschied per Händeschütteln. In manchen Begegnungen winke ich bloß. Zu einer Besprechung, die Anfang Dezember vor mir liegt, klären wir den Modus per Telefonat. Zu einer Besprechung, die heute vor mir liegt, klären wir gar nichts vorab.

Eine Vielfalt der Modalitäten. In meinen laufenden Vorhaben finden sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Orientierungen. Da ist der Geschäftige. Er läßt sich annähernd alle Tage testen. Wenn er Tests nicht gerade gehortet hat, werden seine laufenden Absprachen mit Apothekenpersonal etc. schlagend.

Da ist der Brummige, in der Wildnis erprobt, dem das ganze Theater auf die Nerven geht. Er bleibt ungeimpft und fragte mich eben erst, warum ich bei dem Protestmarsch durch Gleisdorf nicht mitgegangen sei, wir sollten für unsere Bürgerrechte einstehen.

Übrigens, wie originell! Ich hab eben erst erfahren, daß ein Mann, mit dem heuer in einem Projektbereich viel gemacht hab, als Organisator der Protestmärsche gilt. Wir hatten davor mehrere Ausfahrten zu absolvieren und waren in Lockdown-Phasen übereingekommen, mit Maske im Auto zu sitzen.

Hier hat jemand eine Angststörung entwickelt, da jemand eine Sozialphobie. Dort segelt jemand mit stolz geschwellter Brust und verachtet demonstrativ jene, die nicht aus dem Haus gehen wollen. Da begegne ich Leuten, die sich um ein Verhalten bemühen, als wäre nichts geschehen und habe sich nichts verändert. Die alten Konventionen reichen für neue Begegnungen nicht mehr. Wir müssen beachten, wer welchen Modus bevorzugt und wie man selbst dazu steht.

Nein, ich führe keine Diskussionen über die verschiedenen Haltungsvarianten, Konzepte und Ansichten. Es hat mich niemand zum Revisor bestellt, der seine Mitmenschen examiniert. Das sind alles erwachsene Leute. Sie haben ihre Schlüsse gezogen, Entscheidungen gefällt. Ich hatte bisher nicht den Eindruck, jemand fühle sich dabei auf meine Meinung angewiesen. Wo wir kooperieren, bestehe ich – wie angedeutet - auf achtsamem Umgang miteinander. Das klappt auch.

Hätte ich noch die Verantwortung für kleine Kinder oder Teenager, wäre das alles weit schwieriger. Ich verkehre mit Leuten, die nicht belehrt werden wollen. Es stimmt schon, manchmal beiße ich mir auf die Lippe und verzichte auf ein Statement. Aber es ist eine nützliche Übung, Dissens zu ertragen und über Auffassungsunterschiede hinweg gemeinsame Vorhaben in Gang zu halten.

Ich kenne die Intensivstation vom Patientenbett aus. Schlauch in der Lunge und voll verkabelt. Hatte ich schon. Ist rund 30 Jahre her und unvergeßlich. Das zählt zu meinen Entscheidungsgrundlagen, an denen sich heute mein Verhalten orientiert.

Wer es mit diesen Dingen anders hält, unterliegt eben nicht meinen Wünschen, sondern muß das mit den Staatsorganen aushandeln, von denen die Gemeinschaft repräsentiert und das Gemeinwesen verwaltet wird. Rollenklarheit nützt bei all dem. Ich bin weder Polizist noch Schnellrichter. Ich hab auch keine Lust, mich täglich zu entrüsten. Schauen wir also, wozu wir als Gemeinschaft taugen und wohin uns da trägt.

+) Kontext Covid-19


[Kalender] [Reset]