20. November 2021
Party! Party!
Gestern zogen sie wieder unter meinem Fenster vorbei, um
die Welt wissen zu lassen, daß sie in keiner Diktatur leben
möchten. Ich möchte das übrigens auch nicht. Nun wäre ich
froh, könnte ich mich daran erinnern, daß ein Bruchteil
dieser Leute, von denen nun zum zweiten Mal Sprechchöre
durch die Stadt wehen, daß ein Bruchteil dieser Leute
während der letzten Jahre im öffentlichen Leben der Stadt
wahrnehmbar und wirksam gewesen wären.
Was mir fehlt,
ist ein geistiges Leben, das sich etwa in einem
Kulturgeschehen ausdrückt, welches nicht bloß vom
Marketingbüro im Rathaus entworfen wurde. Was mir fehlt,
sind öffentliche Diskurse, die ich inhaltlich nachvollziehen
kann, weil Gründe genannt und Ansichten verhandelt werden.
Mir fehlen Ereignisse, die eindeutig über einzelne
Lagerbildungen hinausreichen. Falls Sie nun meinen, ich
würde mich Träumereien hingeben, krame ich aus meinem Archiv
gerne eine Serie von Beispielen hervor, die das belegen,
wovon ich hier rede.
Gleisdorf hatte in den 1980ern und 1990ern viel davon zu
bieten. Auch für die 2000ern kann ich gerne Exempel
ausrollen. Ich meine kollektiver Wissens- und Kulturarbeit,
die sich unter anderem in redlichen Debatten ausdrückt und
im öffentlichen Leben der Stadt zeigt.
Ein Beispiel
für das Gegenteil davon: die leere Geste. Gestern postete
ein Patrick M. seine 1:50 Minuten wackeliges Video vom
erwähnten Protestmarsch und schrieb dazu: „Gleisdorf
Demo Herr Bürgermeister Stark wo sind sie sie feiger Övp
Angehöriger“. (Und das war’s schon. Patrick?)
Das ist kein Beitrag zu einem politischen Diskurs. Das ist
ein hilfloses Herumpöbeln von einem rotzigen Youngster, der
offenbar nicht einmal halbwegs genau ausdrücken kann, was
ihn bewegt. (Seine Selbstdarstellung auf Facebook
unterstreicht noch, wieviel Aufplustern sein Ego derzeit
verlangt, um gesehen zu werden.)
Gut. Soll sein. Stark wird sowas mühelos wegstecken. Der
Kleine hat sich ein wenig abreagiert, hält sich selbst für
eine Gegenposition zur Diktatur und kann offenbar nicht
einmal durchdenken, daß genau derlei unscharfes Dahinrotzen
und Dahinmotzen die erste Stufe zur Bewerbung für die
Tyrannei ist.
Solche Herzchen betreiben also, wogegen
sie aufzutreten meinen. Sie geben in ihrem unreflektierten
Wunsch nach Aufbegehren die optimale Manövriermasse für einen
redegewandten „Führer“, der solche Konsorten in Reihe zu
bringen vermag. Das führt dann allerweil irgendwann von
„Party! Party!“ zu „Wir sind die Moorsoldaten!“
Stark hat übrigens entspannt geantwortet: „Wo ich
war? Sorry - arbeiten.“ Ich finde das ja rührend, wie
manche Youngsters gegen Ältere anrennen, um irgendetwas von
gehabten Autoritätsproblemen abzuarbeiten. Mir gefallen aber
jene Jungen weit besser, die sich ihr Thema erarbeitet haben
und in eine Diskussion reingehen, daß den Alten schnell klar
wird: das ist jetzt kein Spaziergang.
Es bleibt also
bei diesen zwei meiner bevorzugten Mantras. A) Mit der
Natur kann man nicht verhandeln. B) Nennen Sie Ihre
Gründe!
+)
Kontext Covid-19
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