14. November 2021
November-Kontraste
Ich pendle dieser Tage zwischen meinem Schreibtisch und
den Tiefen meiner Archive. Es muß vieles durchgesehen und
sortiert werden, damit sich aussondern läßt, was zum
nutzlosen Ballast wurde. Dazu gehören Stöße von Notizheften,
die ich wegwerfen will.
Skizzen und Notizen,
Fragmente, Gedichte, Kontaktdaten, auch so manche fremde
Handschrift in kleinen Anmerkungen… Ich hab die Marotte,
diese Hefte zu zerlegen, zu zerreißen, das aufzulösen, was
sie eben noch waren, also auch Teile meines früheren Lebens
abzustreifen. Alter Staub. Erinnerungen…
Im Kontrast dazu: Ich sitze in meinem Büro zwischen zwei
Fenstern, die den Blick auf die Gleisdorfer „Covid
Teststraße“ freigeben. Daher sehe ich da alle Tage die
Menschenschlange derer, denen es nun pressiert. Ab heute
gilt der Lockdown für Ungeimpfte. Sonntag abend kam dann
noch ein anderer Eindruck dazu.
Ich dachte erst, da
werde ein Laternenfest absolviert, denn östlich von mir
stehen die Schulen Gleisdorfs. Aber der Polizeiwagen mit
Blaulicht war dafür untypisch. Dann hörte ich den Chor und
machte das Fenster auf, um die Worte zu verstehen:
„Friede! Freiheit! Keine Diktatur!“
Ich, das
Kind von Barbaren, welche großes Unrecht in die Welt
gebracht haben, höre also diese Herzchen von Diktatur reden.
Was für eine Operette! Wenn die das, was ihnen Sorgen macht,
für eine mögliche Diktatur halten, dann heißt das, die sind
nicht einmal intellektuell gerüstet, Kräften der Tyrannei
wirksam zu begegnen.
Wir können so manche Inkompetenz in den Ämtern feststellen.
Man mag auch Fälle von Behördenwillkür aufzeigen, aber eine
Diktatur ist ein völlig anderes Kräftespiel. Das sollten wir
Nachfahren der Barbaren besser wissen, sollten dafür
Kriterien haben und geeignete Strategien dagegen kennen.
Ich finde es extrem provokant, was uns etwa viele
Landeshauptleute zumuten, die mehr auf einen feschen
Auftritt setzen, als uns mit Klartext zeitgerecht Respekt zu
erweisen. Es kann ja auch sein, daß manche Spitzenkraft
unserer Politik zu blöd ist, um zu verstehen, was
„exponentielles Wachstum“ bedeutet.
Ich habe einigen Groll, was mir Leute der Verwaltung an
Kompetenzmängeln vorhüpfen und auch noch beleidigt
reagieren, wenn man das offen konstatiert. Ich empfinde es
als Zumutung, wie sich politisches Personal derzeit etwa via
Facebook als orthodox geriert, statt mit ihren Parteigranden
langsam reinen Tisch zu machen. Ich denke, da ist
anzusetzen. Möglichst konkret.
Ich kann bloß
bestaunen, was da gestern vor meinen Fenstern vorbeigezogen
ist. Wenn wir keine Begriffe haben, wissen wir nicht, wovon
wir reden. Da habe ich also vorigen Abend einen Chor
unbewältigter Autoritätsprobleme gehört. „Keine
Diktatur!“ „Keine Diktatur!“ „Keine Diktatur!“ Ja. Das
Wasser ist naß. Und der Papst ist katholisch… Wußten wir
schon.
Unsere nötige Basis bleibt: klare Begriffe und daß jemand
seine Gründe nennt, statt bloß emotional zu orakeln, wo ich
dann nicht weiß, spricht gerade ein verängstigtes Ego zu
mir? Oder ist das doch ein Erwachsener, der mir
verdeutlichen kann, wovon genau er redet?
+)
Kontext Covid-19
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