12. November 2021
Decrescendo
Man könnte es eine Strähne nennen. Einen Lauf.
Ereignisse innerhalb eines sehr überschaubaren Zeitfensters
von wenigen Wochen. Mir fällt auf, daß die unerfreulichen
Aspekte daran Schritt für Schritt preiswerter werden. Ein
Decrescendo klingender Münze. Und mein Reichtum an
Erfahrungen macht Sprünge. (Ein Tänzchen.)
Erstens
hab ich von einem Anwalt für meine kulturpolitischen Glossen
eine teure Klagsdrohung bekommen. Wegen angeblicher
Rufschädigung zweier honoriger Leute. Zweitens hab ich bei
einem abrupten Ausweichmanöver die Flanke eines Leihwagens
beschädigt. Die Spuren reichen leider vom Bug bis zum Heck.
(Vollkasko mit Selbstbehalt.)
Drittens hab ich ein Erinnerungsstück zerbrochen. Ein Glas
aus einer anderen Ära. So als würde ein Stück meiner
Biographie in Scherben gehen. Das alles vor dem Hintergrund,
daß ich meine Kleidung grundsätzlich trage, bis sie völlig
zerschlissen ist.
Da kommt dann manchmal, so wie
jetzt, plötzlich ein erhöhter Bedarf an neuen Stücken
zustande, weil ich eine ganze Serie von Kleidungsstücken
wegwerfen muß. Aber noch verweigere ich mich dieser
Anforderung und eigentlich weiß ich gar nicht, wo man
passende Kleidung bekommt.
Dieses Abtragen von Kleidung konstituiert im Grunde eine
Verletzung bürgerlicher Tugenden, denn auch in meinem Milieu
wird vielfach erwartet, das man einigermaßen makellos
gekleidet auftritt. Da wäre heute zwar eigentlich von
kleinbürgerlichen Tugenden zu reden, aber diese
Konventionen sind weitgehend unanfechtbar.
Es ist
eigentlich völlig klar, daß die kurzen Reproduktionszyklen
grade bei unseren Textilien ein gigantisches ökologisches
Problem ergeben, das um soziale Schräglagen angereichert
ist, weil viele Sachen von Menschen unter sehr schlechten
Arbeitsbedingungen produziert werden. So gesehen stehe ich
mit dem ausufernden Verschleißen meiner Klamotten im
richtigen Lager. (Ich trag auch Schuhe, bis sie Löcher
haben.)
Egal! Komm ordentlich daher, oder bleib zu Hause!
Wie hieß das in meinen Kindertagen? „Es kann ruhig
geflickt werden, aber sauber muß es sein.“ Genau! Die
Ärmlichkeit soll man nicht riechen und was man davon sieht,
sei wohlgeordnet. Ach, wer wird denn gar so sehr auf
materielle Dinge setzen? Lustig! Soll ich es erklären? Nein!
Das langweilt mich.
Also: Diese Strähne
unterschiedlich teurer Störmanöver des Schicksals. Ich mag
verblichene Metaphern. Zum Beispiel: Manchmal muß man
den Göttern opfern. Was das bedeutet? Na, daß man
angesichts unabwendbarer Malheurs nicht herumzappeln und
anderen Leuten auf die Nerven gehen möge. Hinnehmen,
wegstecken. Was sonst? Immerhin weiß man ja nie, was einem
gerade an schlimmeren Vorfällen erspart blieb.
Gut, man könnte herauszufinden versuchen, ob nicht
vielleicht doch wer anderer schuld ist. Die Sache
abschieben. Irgendwas mit gut geölten Ausflüchten. Aber das
ist so unoriginell. Ich finde nämlich, der Mangel an Esprit
sollte strafbar sein. Ausflüchte sind ein Spitzenereignis
des Mangels an Esprit. Ergo: das geht nicht!
Also:
Prioritäten, um verfügbares Geld gut zu verwalten! Bücher
und Wein? Oder doch neue Kleidungsstücke? Das erinnert mich
an meinen Opa Richard, der vom Grimming her kam. Bei diesen
Leuten lautete die Entscheidung manchmal: Ein Buch oder
ein paar Schuhe? So teuer waren Bücher. Die kamen per
Post, wenn man welche haben wollte. Ich werde mich also
jetzt nicht beschweren, sondern wegzahlen, was zu begleichen
ist. Das sind so Kerben im Holz meiner Wege. Paßt schon!
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