5. November 2021

Kunst und Moral

Ich hab meist wenig Interessen an Debatten über Moral, weil die oft von relevanten Fragen ablenken. Ich mag dagegen die Idee von Fairness. Die handelt im Kern von Interessensausgleich und Verteilungsgerechtigkeit.

Ich ziehe es vor, zu unterscheiden, ob mich jemand als Mitmensch oder als Ressource betrachtet und behandelt. Eine Ressource wird verbraucht. Ein Mitmensch ist – im Unterschied dazu - Gegenstand von Neugier. Das gibt Gelegenheit, die Interessen des Gegenübers zu erkunden.

Wer mir zeigt, daß meine Interessen eine Rolle spielen und mir nicht bloß das entgegengebracht wird, was wir ausgehandelt haben, schafft Raum für eine erfreuliche Wechselbeziehung. Das ist etwas fundamental Anderes als ein Deal. Aber dazu würde doch jetzt niemand sagen: „Oh! Das ist mir ganz neu.“

Eben! Wenn ich das in meinem Milieu erst erklären müßte, wäre ich in der falschen Gemeinschaft angekommen. Kann passieren. Dann hau ich eben wieder ab. Da kommt dann dieser Moment ins Spiel, der für mich alles ändert. Sobald ich merke, daß ich bei jemandem auf der Hut sein muß, stelle ich sofort Distanz her. Wenn es dann keinen sehr guten Grund gibt, mit so einer Person weiter in Kontakt zu bleiben, etwa aus geschäftlichen Gründen, breche ich die Verbindung ab.

Der Grund dafür ist so simpel wie egoistisch. Auf der Hut sein, Schutzmaßnahmen und Bunkerstellungen sichern, das frißt Zeit wie Energie auf völlig nutzlose Art. Es ist weder produktiv, noch erfreulich. Es hat – scheint mir - überhaupt nur dann irgendeinen Sinn, sowas zu pflegen, wenn man es liebt, in Gefahr zu gehen und ein Gegenüber zu dominieren, zu überwältigen, zu berauben, was weiß ich.

Ansonsten ist das eine Mischung aus leerer Geste und Karaoke. Mich hat das von Anfang an beschäftigt. Als mein Vater vom Schlachtfeld zurückgekommen ist, war er zu einem amoralischen Menschen geworden. Er hatte aber den Mumm, sich in seinen alten Tagen um eine neue Orientierung zu bemühen. Das gab uns die Gelegenheit zu einer Art Versöhnung in einigen grundlegenden Dingen. Meine Mutter war eine Heuchlerin und wird dazu wohl gute Gründe gehabt haben. Mein Bruder, ach, Schwamm drüber!

Nein, keine Sorge, ich brauche diese Leute nicht, um meine Position hervorzuheben. Ich fand es vielmehr interessant, an ihnen und einigen anderen (was eben mein Clan so hergab) eine Fülle recht verschiedener Rollenangebote zu entdecken. Positiv formuliert: ich hatte eine kontrastreiche Auswahl. Wonach würde ich mich orientieren? Wohin würde ich tendieren?

Moral oder Folgerichtigkeit?
Was es geworden ist, hab ich nicht aus einer Art Widmung an „höhere Werte“ bezogen, sondern aus einem egoistischen Pragmatismus. Das hängt mit meinem Leben in der Kunst zusammen. Es geht in der Kunst nicht um Moral. Es geht um Folgerichtigkeit, weil ein künstlerisches Werk ohne den Aspekt der Folgerichtigkeit zur Dekoration verkommt.

Das erscheint vielleicht auf Anhieb nicht nachvollziehbar. Kunst. Eine transzendente Kategorie. Dafür gibt’s letztlich keine Beweise. Kunst kommt aus der Menschen Fähigkeit zu symbolischem Denken. Was wir vorfinden und beurteilen können, ist… das Werk. Das Werk, wie es aus Handlungen von Menschen entspringt.

Nur die Folgerichtigkeit führt zur Kohärenz. Es muß im Bemühen um die Qualität eines Werkes diese inhaltliche und konzeptionelle Folgerichtigkeit geben. Erst so entsteht einer der wesentlichen Unterschiede zum Dekorationsgegenstand.

Diese Angelegenheit hat ihre Resonanz in der alten Redensart „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!“ (Das finden Sie in der Bibel unter 1. Johannes 2,1-6.) Wir sind von Kindheit an gerüstet, die Taten anderer zu beurteilen. Dieses Rüstzeug kann freilich manipuliert werden; etwa von Leuten, die mächtiger sind, als man es selbst ist. Aber auch Trickdiebe, Wegelagerer, Kanaille aller Art üben sich darin.

+) Übersicht: Kulturpolitik


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