4. November 2021

Zola und ich

Das ist eben so meine Marotte. Die Sache mit dem öffentlichen Diskurs. Zugegeben, da hat mich dieses ganze Emile Zola-Ding unrettbar am Haken. Jene romantische Vorstellung, daß ein Intellektueller nicht erst den Auftrag durch eine Obrigkeit abwartet, sondern sich aus eigenem Antrieb aus dem Fenster hängt.

Die „Alternativen Fakten“ sind ja keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Zola hatte sich mit seinem „J’accuse!“ gegen verdeckte Intentionen und verfälschte Informationen gewandt. Wenig überraschend, daß mir diese Aufraffung gefiel. Wenn Interessensgruppen die Faktenlagen beugen, sind Einwände nötig.

Ich bin, wie schon mehrfach erwähnt, die Brut faschistischer Leute. Doppelbödigkeit und Gewalt gehört zu den Grundzutaten meiner Kindheit. Das war von genau dem geprägt, was Dubravka Ugresic nach den Untergang Jugoslawiens in einem Buch sehr treffend „Kultura laži“ nannte: „Die Kultur der Lüge“.

Man redet sich selbst schön, was es nicht geben dürfte. Es kommt zu merkwürdigen Kumpaneien der Fragwürdigen. Nach einer Weil solcher Praxis glauben sie selbst, was sie an Legenden generiert haben und geben sich feindselig, wenn jemand widerspricht. Wem kommt sowas bekannt vor?

Wie gut ich das kenne. Du lernst erst einmal, deiner eigenen Wahrnehmung zu mißtrauen, weil die vorherrschenden Autoritäten dir einbläuen, daß du die Dinge falsch siehst, daß es „in Wahrheit“ anders ist. Das wird dir notfalls reingeprügelt und deine Selbstachtung mit anderen Arten der Übergriffe niedergerungen.

Ich erkenne diese Kanaillen, kann sie riechen. Ich kenne diesen Tonfall, die Mimik, den ganzen Habitus solcher Überwältiger, die keinen Einwand ertragen und keinen Widerspruch dulden. Die biedere Fratze, das verbindliche Lächeln, all die Phrasen und die beliebig befüllbaren Containersätze.

Man darf sich nicht vorstellen, das seien vor allem Erscheinungen wie ein Henkersknecht oder ein Blockwart. Selbst ganz moderat wirkende Wesen in duftenden Klamotten, die Haare schön, die Schühchen sorgsam ausgewählt, spielen eventuell solche Partituren.

Ich habe mir für all das zwei grundlegende Kriterien zurechtgelegt und sie in Fragen verpackt, ganz einfach Fragen:
+) Haben sie gute Absichten?
+) Verstehen sie ihr Handwerk?

Wann wäre es das letzte Mal passiert, daß ich jemandes Kompetenzen nach einer Weile falsch eingeschätzt hätte? Keine Ahnung! Ist ewig her. In meinem Metier weiß ich manchmal nach zehn Minuten, manchmal nach einer Stunde, womit ich es zu tun hab: sachkundige Kraft oder aufgeblasenes Wesen mit großer Klappe?

Aber das ist banal. Wer immer sein Handwerk versteht, sein Metier kennt, kann das. Deshalb auch der Titel meiner kulturpolitischen Glossen-Serie: „Was es wiegt, das hat’s“. Gemäß dem alten Handwerks-Ethos: „Man sagt nur, was man kann. Und man kann das, was man sagt.“ Wer hinter dieser Option zurückbleibt, erregt notwendigerweise Argwohn.

+) Übersicht: Kulturpolitik


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