7. Oktober 2021

Die Stille hat immer recht

Manchmal nimmt die Unruhe um mich und in mir enorm zu. Aber das ist banal. Und wenn ich grade sehr nervös werde, hole ich mir stets das gleiche Zitat von Toni Morrison hervor: „This is precisely the time when artists go to work — not when everything is fine, but in times of dread. That’s our job!”

Da ist kein Einwand möglich. Das läßt kein Schlupfloch offen. Es gibt andere Konzepte, um in der Kunst zu leben. Meines ist dies: Folgerichtigkeit. Das wird manchmal sehr anstrengend, ist manchmal sehr lohnend und sorgt immer wieder für hinreißende Klarheiten.

Verstehen Sie mich recht, ich bin kein Wahrhaftigkeitsberserker, kein Athlet des aufrechten Ganges, zumal jetzt schon einige Jahre zusammengekommen sind, Jahrzehnte, und ich staune so vor mir hin, wie sich das in mir ausdrückt.

In mir? Lustig! Vor allem einmal an mir. Was war ich verblüfft, als mir klar wurde, daß ich den Körper meines Vaters bekomme. Ich hab ihn ja auf bestimmte Art gesehen, den letztlich alten Mann, in seinen Zusammenhängen, diesen geschundenen Leib eines sturen Hundes, der sich in entscheidenden Jahren einfach geweigert hatte zu sterben.

Damit meine ich bei ihm sehr junge Jahre, in denen das Leben dem einstmals drahtigen Burschen enorme Gefahren auferlegte und mit Klingen, Spießen, Geschoßen auf ihn eindrang. Ich habe kürzlich an ihn gedacht, als ich diesen eigentümlich lapidaren Film von Jérémie Guez sah: „The Sound of Philadelphia“ (2020) mit dem sehr schweigsam wirkenden Matthias Schoenaerts.

Dabei fiel mir jener Satz wieder ein, den ich heute keiner Quelle mehr zuordnen kann und mir bleibt nur zu wiederholen: Shakespeare? (Übrigens! „Macbeth“ ist neu verfilmt worden.) Ah ja, der Satz: „Nichts schändet die Seele so sehr wie das Töten“. Mein Vater also, den es dann mit entsetzlicher Wucht aus dem Leben riß, als er nicht mehr darüber nachdachte, was ihm noch bevorstehen könnte.

Und ich nun, mit seinem Körper und der kurzen Frist vor mir, nach der ich ihn an Alter überholt haben werde. Der nächste Sommer entläßt mich dann in einen anderen Status. Ich weiß immer noch, wie man Schläge einsteckt und bin immer noch unversöhnlich, wenn es geschieht. Doch darüber gibt es nichts zu erzählen, denn auch das sind banale Dinge.

Kürzlich ging mir durch den Kopf: Die Stille hat immer recht. Das Unerklärliche regt uns zu neuer Poesie an. Nur die Stümper schlagen zu und machen dabei Lärm. Aber es geht um diesen Klang, den wir alle in uns finden können, der so empfindlich ist auf Interferenzen.

Ich habe eben Arbeit vor mir, für die ich ausgeschlafen sein sollte. Ich merke: das wird wohl nichts. Mir fällt gerade nicht ein, worüber ich mich beschweren sollte. Und manchmal, wenn ich bei solcher Stille durch die Nase einatme, klingt es, als würde sich etwas an mich heranschleichen. Ah ja, Morrison: „This is precisely the time when artists go to work…“


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