7. Oktober 2021
Blutige Blätter
Wir haben bisher offenbar noch nicht klären können, ob
der steirische Kommunismus eine Gefahr für das Land und
unsere Demokratie wird oder ob er bloß unser Gemüt belastet,
weil das Wort Kommunismus zu Recht an Lenin, Stalin und Mao
erinnert.
Lassen wir also nun nötige Verhandlungen in
vorbeiziehen, um herauszufinden, wer in Graz das
Bürgermeisteramt erhalten wird. Dann mag sich zeigen, was
bei all dem noch an Klärungsbedarf entsteht. Deutschland hat
uns schon demonstriert, welche Konjunkturen solche Debatten
haben.
Dort laufen hitzige Diskussionen zwischen Sozialdemokratie
und der Linken; und zwar anlaßbezogen stets neu. Der Linken
hält man gerne vor, daß sie mit ihren politischen Wurzeln in
der DDR als „Mauerschußpartei“ unwählbar sei. [Kontext:
Schießbefehl] In dieses Lied stimmen CDU/CSU gerne ein,
schweigen aber eisern darüber, daß es in ihren Reihen so
allerhand Ex-DDR „Blockflöten“ gibt. [Kontext:
Blockpartei]
Es wird sich zeigen, welches Gewicht
die Debatten über Elke Kahr & Co. haben, wenn die erste
Erregungskurve abflacht. Wir können solches Lärmen als Anlaß
nutzen, unsere Fundamente ebenso zu überprüfen wie unsere
Hintergrundfolien. Wodurch kamen wir in die heutige
Situation? Was war dabei prägend? Welche Ereignisse säumen
unsere Wege?
Um das 20. Jahrhundert zu entschlüsseln,
das in der Geschichtsschreibung aus guten Gründen als
radikales und als kurzes Jahrhundert dargestellt wird, sind
uns solche Betrachtungen nützlich. Nun fehlt es mir an
Sachkenntnis zur Entstehungsgeschichte der Neos. Aber für
die FPÖ, KPÖ, ÖVP und SPÖ, ausnahmslos auch für die Grünen,
läßt sich sagen: jedes der Geschichtsbücher dieser Parteien
hat blutige Blätter.
In jedem der Geschichtsbücher kann ich Gedankengut finden,
das sich als menschenverachtend qualifizieren läßt. Aus
einem älteren Buch kennen wir dieses Problem, das im Gezänk
oft auftaucht. In der Bergpredigt heißt es: „Warum
siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den
Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ (Matthäus
7,3)
Es gibt keine österreichische Politik ohne
„geistige Väter“, Vorboten, ideologische Wegbereiter und
radikale Streiterinnen im Kräftespiel wechselnder
Interessen. Auf dem Weg zu akzeptablen Arbeitsbedingungen,
Verteilungsgerechtigkeit und gleichen Rechten mußte die
letzten zweihundert Jahre, die wir in permanenter
technischer Revolution leben, immer gerungen, gekämpft
werden.
Die Nutznießer von Vorteilen haben diese
Vorteile nur selten aus freien Stücken aufgegeben. Ein
Beispiel: zu den frühen Errungenschaften der
Arbeiterbewegungen zählte die Limitierung der Arbeitszeit
für Kinder in den Fabriken… auf zehn Stunden pro Tag.
Nein, ich brauch keinen Hinweis auf Stalin, um
Vorstellungen zu haben, auf welche Arten meine Leute über
viele Generationen geschunden, auch mißbraucht wurden. Ich
bin im Bilde. Und wie oben erwähnt, jedes der
Geschichtsbücher von FPÖ, Grünen, KPÖ, ÖVP, SPÖ hat blutige
Blätter.
+)
Wachsende Unruhe (Übersicht)
Postskriptum
Was läßt sich
unaufgeregt feststellen? Hier noch einmal Norbert
Mappes-Niediek, ein Publizist, dessen Analysen ich schätze:
„Wählerwanderungen zwischen KPÖ und FPÖ sind die Regel.
In eine Linkskoalition mit Grünen und Sozialdemokraten
werden sie sich kaum einbinden lassen. Intern im Spektrum
der – anderswo sehr kleinen – kommunistischen Partei in
Österreich vertreten sie die stalinistischen,
nationalbolschewistischen Positionen, eine Tatsache, die sie
mit ihrem Auftreten als katholischer Mieterverein mit einer
Art Mutter Teresa an der Spitze gern vergessen machen.“
Also: abwarten und Tee trinken, bald wissen wir mehr.
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