20. September 2021

Hard Rain

Der Tod von Musiker Bertl Pfundner hat unter meinen Leuten stellenweise für einige Unruhe gesorgt. Er war einer im Ensemble „Aniada a Noar“. Diese Formation hatte ursprünglich als Quartett reüssiert. Wolfgang Moitz und Andreas Safer zählten dazu, auch mein Bruder Michael.

Dieser Teil der Geschichte hatte am 1. Juli 1983 bei einer Kulturveranstaltung in der Grazer „Brücke“ begonnen. Da runden sich also demnächst 40 Jahre. Das bedeutet unter anderem, die Geschichte dieses Quartetts ist auch Dokument konkreter Lebensgeschichten, bildet überdies ein Stück der kulturellen Nachkriegsgeschichte der Steiermark ab.

Wer deren Stationen und Momente genauer kennt, mag feststellen, daß sich in der Gruppe Aspekte der Volkskultur, der Popkultur und der Gegenwartskunst kontrastreich verzahnt haben. Ein wichtiges Detail, weil noch andere Kulturbegriffe vorherrschten, als wir zur Welt kamen.

„Aniada a Noar“ wurde vor einer Weile zum Trio, weil Michael eines Tages die Option einer Solokarriere vorzog, wurde nun zum Duo, weil Bertl gestorben ist. In diesem Zeitfenster - 1983 bis 2021 - haben wir erlebt, wie die alte Dichotomie „Volkskultur/Hochkultur“ aufgebrochen wurde. In der „Distinktionsmaschine Kultur“ wurden allerhand Prinzipien der versunkenen ständischen Gesellschaft unter den Neuerungen hinfällig. (Manche Bildungsdünkel machten einen dann bloß noch zum Absaufen fit.)

Als Bob Dylan den Literaturnobelpreis erhielt, hätte das ein Anlaß sein können, unseren kulturellen Status quo abzuklopfen. Wir hätten überdies genau hinhören können, als Patti Smith damals für ihn „A Hard Rain's A-Gonna Fall“ sang und dabei in Tränen ausbrach. Im Jahr 2016 war zum Lauf der Dinge schon die zweite Stufe jener großen Krise gezündet worden, die ich im Zeitfenster 2010-2015-2020 sehe.

Verstehen Sie mich recht, Krise, das heißt bloß: Umbruch. Ein Bonmot besagt, man solle keine gute Krise vergeuden. Da entsteht dann die interessante Frage, ob wir Richtung Katastrophe oder Richtung Katharsis gehen. Das ist der haarige Teil der Geschichte.


Was nun diese rund 40 Jahre „Aniada a Noar“ und der Tod von Bertl Pfundner bedeuten? Sie bedeuten, daß wir Entscheidungen gefällt und Schritte gesetzt haben, um den Lauf der Dinge so oder so zu gestalten. Das hat zu einem Zustand der Welt beigetragen, den wir vorliegen haben, über den man sich belügen kann oder dem man sich stellen mag.

Dabei hat sich ein wesentlicher Teil unserer Lebenszeit inzwischen erschöpft und was noch vor uns liegt, ist vergleichsweise überschaubar. Darin wurzelt auch ein wesentlicher Teil der Verantwortung gegenüber unseren Kindern, denen wir eine Welt bereitet haben, mit deren Zustand sie umfassender zurechtkommen müssen, als wir in der verbleibenden Zeit.

Das bedeutet es mir, wenn jemand aus unserer gemeinsamen Geschichte heraus die Welt verläßt. Es macht diese Position deutlich.

Von Norbert Elias bekamen wir die banal klingende, aber tiefgehende Anregung: „Tote haben keine Probleme“. (Einer der zentralen Punkte in seinem Werk „Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen“.) Das heißt ja zwangsläufig, wir sind jetzt und nicht irgendwann für die Probleme zuständig, die unsere Handlungsweisen aufwerfen.

Auch das klingt so banal, daß man es für selbstverständlich halten möchte. Das ist es aber offenkundig nicht: selbstverständlich. Dabei können wir uns eigentlich nicht darüber hinwegtäuschen, welche Deals uns einfallen, wenn es um Statusspiele und das Rennen um Ressourcen geht. Wie Gunnar Heinsohn sagte: „Um Brot wird gebettelt, um Rang wird geschossen.“ Was also geht sich für Leute wie mich noch aus und was ist zu tun?

PS: Die handschriftliche Notiz stammt von Sänger Eric Burdon, als ich ihn in Durschland zu einem Gespräch traf. Sie lautet: "To Martin. Born a Rebel. Live like a Rebel but don’t die for one Revolution for the Fun of it. Your Eric Victor Burdon 1980"

+) Siehe zum Thema auch: „Bertl ist gegangen


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