13. Juli 2021
Carlos, Fußball und
Srebrenica
Seit ich weiß, daß aktuelle Forschungsarbeiten zur Annahme
berechtigen, sogar Erinnerungen lassen sich bauen, lassen
sich umgestalten, sind also Konstruktionen, habe ich ein
ganz neues, merkwürdig verschobenes Interesse an großen
Narrativen.
Ja, ich weiß, die sind abgesagt worden.
Großgeschichtsschreibung? Zack! Weg! Das Ende der
Geschichte? So hart kam es dann auch wieder nicht. Aber! Die
liberale Demokratie. Vermutlich schon abgesagt. Dabei war
das emotional so wuchtig und wichtig, politisch so wirksam,
um diese alten Narrative - a) Nazismus und b) Stalinismus -
zu erledigen. (Nein, die sind kaum umzubringen.)
Ich hab mir eben dieses fünfstündige Epos über Ilich Ramírez
Sánchez angesehen. Ein Kind der Bourgeoisie. Später ein
großspuriger Top-Terrorist, der sich den Kampfnamen Carlos
zugelegt hat. So auch der Titel dieses Werkes von 2010: „Carlos“.
(Dieser Mörder erhielt den Spitznamen „Der Schakal“.)
Ganz unaufgeregt erzählt, fast schon lapidar. Eine
enorme Drehbuchleistung mit sehr plausiblen Dialogen. Eine
entspannte und präzise Regie. Dabei wird die ganze
Erbärmlichkeit dieses aufgeblasenen Herrenmenschen
erkennbar, der ohne seine Waffen und ohne seine Entourage
leicht als banaler „Weiberer“ erkennbar wäre, der auf
Knarren steht.
Was der dauernd faselt, wie er sauft
und den Frauen an die Wäsche geht, was ihn dazu bewegt,
selbstgerecht dieses und jenes Leben zu nehmen also: zu
morden. (Da waren die Hisbollahis weit härter drauf, die
sich selbst zu Bomben machten, um für ein Spottgeld zu einer
lebendigen Waffe zu werden, mit der sich ein Millionen
Dollar teurer Main Battle Tank sturmreif sprengen ließ.)
In all dem das inzwischen vertraute Motiv, denn wir hören
und lesen viel von Terrorismus. Der Täter will kein Mörder
sein, kein Verbrecher, also bemäntelt er seine Anmaßung mit
Ideologie, überhöht sich selbst. Der historische Carlos läßt
es so klingen: „Meine Religion heißt Marxismus.“
Eine Pose ohne Format und Dimension.
Das sind
bewährte Konzepte, die eben große Narrative brauchen. Darum
Achtung, wenn populäre Slogans erklingen! „Nieder das
Kapital!“ „Tod dem Marxismus: es lebe der
Nationalsozialismus!“, „Smrt fašizmu!“, „No pasaran!,
„Allahu akbar!, „White Power!“; oder auch
kleinräumiger: „Kosovo je Srbija!“ Wahlweise:
„Euskadi ta Askatasuna!“ (baskisch für „Baskenland zur
Freiheit!“)…
Das läßt sich beliebig weiterspielen und
dann bin ich plötzlich mitten in der
Fußball-Europameisterschaft. Alle Teams müssen verlieren,
bis auf ein Team. Klar? Klar! Denn: „Es kann nur Einen
geben!“ (Ein Zitat aus dem Action-Kracher
„Highlander“.) Das ist die Natur des Projektes
Fußball-Europameisterschaft. Dennoch brauchen jetzt einige
schwarze Fußballer, die England beim Elferschießen nicht den
Sieg sichern konnten, Security.
Sie müssen sich als
„Nigger“ beschimpfen lassen, während allerhand
Herrenmenschen dazu aufrufen, das auch an anderen Schwarzen
auszulassen, egal, wen man grade trifft. Und weil es so
lustig ist, über andere herzufallen, vernehme ich sogar aus
meinem nächsten Umfeld von honorigen Leuten sehr
unzivilisierte Verwünschungen der Engländer so insgesamt.
Das paßt also zu diesen Tagen, denn am 11.07.2021 hätte
man an den 26. Jahrestag des Massakers von Srebernica denken
können. Ah ja, das war vorgestern! Da liegt also eine Menge
Arbeit vor uns.
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