28. Juni 2021
Zwischen den Doppelscheiben
meiner Bürofensters befinden sich Zargen aus Metall. Gegen
7:40 Uhr steht die Sonne so, daß mir ein Strahl direkt in
die Augen gelenkt wird, als käme mir nachts auf der Autobahn
ein Geisterfahrer mit Fernlicht entgegen.
Das ist
also in der Funktion schlechtes Design. Würden wir
andererseits auf geschmäcklerischer Ebene gebürstetes oder
etwa in Grau beschichtetes Metall akzeptieren, um die
Fenster erträglich zu finden?
Stets laufen in meinem Kopf Gedankenspiele rund um Themen,
die gewöhnlich grad nicht rasend wichtig sind, um mein Leben
gelingen zu lassen. So hatte mich eben ein Ensemble von
Spaten und Helmen beschäftigt, ein Input für die
Facebook-Gruppe „Gleisdorf
vor Jahren“. Der Spatenstich.
Sakko aus. Helm
auf. Spaten schwingen. (Ist es ein Sakko, ein Jackett oder
ein Blazer?) So zeigen sich Ortshonoratioren und
Landesgrößen beim Baubeginn wovon auch immer, nehmen eine
Pose ein, die körperlicher Arbeit simuliert, um einen Job
anzudeuten, den der Bagger erledigt.
Wir haben
merkwürdige Bräuche eingeführt, durch die politisches
Personal mit dem Volk kommuniziert. Das ist natürlich noch
nicht die kurioseste Version. Ich bin in der Sache immer
noch etwas begriffsstutzig. Interessen verwalten. Das heißt
unvermeidlich: Interessengruppen bedienen. Und selbst
formieren. Also Lobbyarbeit.
Nun das Problem: die
Logik solcher Handlungskonzepte auf alle Lebensbereich zu
übertragen? Also: wie könnten es Politik und Verwaltung
bestenfalls vermeiden, mich in die Logik ihrer Prioritäten
und Abläufe zu zwingen? Wollen sie das überhaupt?
Wie
läßt sich dabei sicherstellen, daß der „Dienst am Volk“
nicht zu einer Dienstbarmachung des Volkes wird? Na, gar
nicht, Leute! Ich bin vorerst noch ratlos, wie sich diese
verschiedenen Felder in eine sinnvolle Korrespondenz und
Kooperation bringen lassen. Ich bin dazu im Augenblick
völlig konfus, zumal ich eine merkwürdige Doppeldeutigkeit
vorfinde.
In meinem Milieu haben sich auffallend
viele Leute einerseits diesen systemischen Kuriositäten
angepaßt, was sie andrerseits in der Öffentlichkeit mit
auffallend rebellischen Posen kaschieren. Aber vielleicht
ist das der Ausdruck eines zutiefst österreichischen Wesens.
Da kommt eine Art der Kriecherei vor, die sich seit der
Gegenreformation nicht mehr übersehen läßt, die zuletzt in
der Nazi-Tyrannei ihre besonderen Sternstunden hatte.
Wie sollte das in zwei Generationen verschwunden sein?
Ich zähle die Monate. Inzwischen endet der heurige Juni,
damit dauert es kein ganzes Jahr mehr und ich werde älter
sein, als mein Vater je geworden ist.
Dieses
Hinauswachsen über die eigenen Vorfahren scheint manchen
Menschen nicht geheuer zu sein. Um sich selbst zu ertragen,
muß dann immer noch gefälscht und schöngeredet werden.
Solche Art der Heuchelei ist bei uns von staatstragender
Dimension. Diese Art vor dem eigenen Leben auf den Knien zu
rutschen, das ist der nächste Hieb gegen unsere Kinder.
[Kalender]
[Reset]
|
|