26. Juni 2021
Nationalkitsch
Da wird nun wieder ein ganz altes Liedchen gesungen: „Die
österreichische Staatsbürgerschaft ist ein Ausdruck der
gemeinschaftlichen Identität unseres Volkes…“ verkündet
der „stellvertretende Landeshauptmann Oberösterreichs, Dr.
Manfred Haimbuchner“. Das ist politisch untragbarer
Nationalkitsch, fern der Höhe der Zeit.
Dieses
historisch recht junge Konzept einer ethnisch definierten
Staatsbürgerschaft, die emotional aufgeladen wird, hat
Wurzeln in Debatten, welche schiefgelaufen sind. Während
etwa in Frankreich Persönlichkeiten wie Ernest Renan (†
1892) „Nation“ rein politisch gedeutet haben, beliebte man
in Deutschland und Österreich eine romantisch-rassistische
Begriffsdeutung vorzunehmen.
Nun gab es so ein Deutschland erst ab Bismarck (†1898) und
so ein Österreich erst nach Kaiser Franz Josef I. († 1916)
Was sagt uns das? Diese Art von Staatsverständnis, nämlich
„Nation! beziehungsweise „Staat“ ethnisch und identitär zu
deuten, ist allein gegenüber 600 Jahren Haus Habsburg ein
sehr junges Phänomen, mit dem wir noch nicht sehr weit
gekommen sind.
Es ist kühn, eher noch dumm,
Staatsbürgerschaft und Identität zu koppeln. Ich selbst
teile zum Beispiel in der Identität mit dem
stellvertretenden Herren kaum etwas. Von ihm trennt mich
emotional weit mehr als von einem ganzen Rudel Balkaneser,
mit denen ich mich vorzüglich verstehe.
Mein
Selbstverständnis und mein Europa sind weit größer als so
ein vaterländisches Österreich, wie es der stellvertretende
Herr aktuell proklamiert. Mit so einem Zwergenkonzept kann
man einem Zwergenstaat anno 2021 kaum in die Zukunft helfen.
Ich möchte außerdem mein Österreich nicht auf den etwas
engen Horizont des stellvertretenden Herren reduziert sehen.
Die österreichische Staatsbürgerschaft ist ein Vertrag.
In meinem Fall ein Vertrag zwischen mir und dem Staat. Darin
sind Rechte und Pflichten markiert. Dem gegenüber ist meine
Identität Privatsache. Was der stellvertretende Herr
offenbar nicht bewältigt: seit dem Imperium Romanum und seit
der Kodifizierung von Römischem Recht sind wir in Europa
bemüht, die Privatperson mit ihren individuellen Aspekten
vom Staatsbürger und der Staastbürgerin kategorial zu
unterscheiden.
Das ist unter anderem auch der
Wegweiser aus den Konzepten einer ständischen Gesellschaft
heraus zur Idee, daß vor dem Recht alle Menschen gleich
seien, daß die Würde des Menschen ausnahmslos allen Menschen
zu eigen sei und folglich unteilbar etc.
Fällt Ihnen
die Nuancierung auf? Da ist Grundsätzliches auf zweierlei
Art. Man ist Mensch mit Rechten, ganz egal, welche Identität
man hat. Man ist auch etwas Abstraktes, nämlich
Staatsbürgerin oder -bürger, ganz egal, welche Identität man
hat. Das Eine kann einem nicht abgesprochen werden, das
andere ist man, wenn der Vertrag geschlossen wurde, und ist
man nicht, falls man zu den Staatenlosen zählt.
Das
Eine hat man, unteilbar. Das Andere muß man erwerben, also
eine Vertragserstellung herbeiführen, die konkrete
Bedingungen hat. Die Sonderform: werde ich von einer
österreichischen Staatsbürgerin geboren, ist der Vertrag für
mich schon errichtet. Das ist weder metaphysisch, noch
esoterisch, sondern von Menschen geschaffenes Reglement.
Dieser Vertrag ist mit keiner Identitätsfrage verknüpft,
sondern wird aus ganz abstrakten POLITISCHEN Begriffen
formuliert. Er hat keine „vaterländische“ Dimension. Auch
als Soldat der heimischen Armee, im meinem Fall als
Korporal, gilt meine Pflicht dem Vertrag, sehe ich mich der
Gemeinschaft über Vertragstreue verbunden, nicht über eine
Art „Liebe zum Vaterland“. Ich verbeuge mich vor der
Gemeinschaft, nicht vor den Geistern, die sich darin
hervortun.
Was nun der stellvertretende Herr hier
versemmelt: er vermischt erneut Demos und Ethnos, zwei
grundverschiedene Kategorien menschlicher Gemeinschaft. Wenn
er einen „Ausdruck der gemeinschaftlichen Identität unseres
Volkes“ strapaziert, also eine völkische Kategorie zur
politischen Kategorie erklärt, geht er hinter Srebrenica und
Auschwitz zurück. Da waren wir schon… Das ist Politik des
vorigen Jahrhunderts. [Die
H.-Quelle]
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