25. Juni 2021
Herrschaftsfragen
Sitten. Moral. Das sind keine Angelegenheiten, die wir
in unseren Gesetzen stehen haben. Was für adäquat und was
für abweichend gehalten wird, ergibt sich aus der
Lebenspraxis einer Gemeinschaft.
Eben diese Arten der
Lebenspraxis lassen es uns spüren, wenn wir jemanden
verletzt haben oder wenn wir ein Gemeinschaft durch unser
Verhalten belastet haben. Ich brauche sowas niemandem zu
erklären. Wer nicht gerade einen an der Waffel hat, kann gut
spüren, wo eigenes Verhalten andere brüskiert oder verletzt
hat. Darüber bleiben wir nie im Unklaren.
Wer mir gegenüber diesbezügliche Wahrnehmung an sich selbst
ignoriert, fliegt aus meinem Leben raus. Wer sich seine
diesbezügliche Wahrnehmung schönredet, um in meine Richtung
expandieren zu können, fliegt aus meinem Leben raus. Wer
diesbezüglich gar keine Wahrnehmung hat, solche Leute gibt
es auch, fliegt aus meinem Leben raus.
Das kommt
nicht, weil mir gar so viel an Sitten und Moral läge. Es hat
egoistische Gründe. Ich sehe Beziehungen nur dann gelingen
und jene Qualitäten entfalten, an denen mir liegt, wenn
sowas wie Verteilungsgerechtigkeit gesichert ist. Ein
Fließgleichgewicht.
Wenn solche Balance ständig
bedroht wird, dauernd errungen werden muß, hat die Beziehung
keinen Sinn, egal ob Freundschaft, Liebe, was auch immer. Es
gibt Menschen, die meinen, man müßte um Zuneigung oder gar
Liebe kämpfen. Eine skurrile Auffassung. Wo Kämpfen
notwendig ist, geht es um Machtverhältnisse.
Auch
sollte Asymmetrie im Status kein Problem sein. Ich habe zum
Beispiel gelegentlich mit Menschen zu tun, die über einen
weit höheren sozialen Rang verfügen als ich, die mehr
besitzen als ich, denen viel größere Ressourcen an der Hand
sind als mir.
Das steht nicht zwischen uns. In diesem
Bereich zählt bloß ein redlicher Umgang miteinander, so daß
ich nicht auf der Hut sein muß, daß ich nicht mit verdeckten
Intentionen zurechtkommen soll. Auf die Art müßte es
eigentlich machbar sein, höchst unterschiedliche Kräfte aus
ganz unterschiedlichen Positionen in gemeinsame Wirkung zu
bringen.
Das Komplementäre statt dem Hierarchischen.
Dabei kann die Differenz erhalten bleiben und beachtet
werden. Sie ist kein Anlaß für Machtdemonstrationen. Macht!
Diese Möglichkeit, auf Ressourcen und auf das Verhalten von
Menschen zuzugreifen.
Ich erlebe dieses wuchtige
Comeback der Macht-Ensembles bis in meiner vertraute
Umgebung herein. Menschen haben Interessen. Da schimmert
wieder dieses Bonmot durch: Der Sklave träumt nicht davon
frei zu sein, er träumt davon Herr zu sein. Das wäre der
alte Modus. Herrschaftsfragen…
[Kalender]
[Reset]
|
|