29. Mai 2021

Alt werden

Geht das Brot zur Neige, wird ein Einkauf fällig. Der Brotlaib schafft ein Stück jener Struktur, mit der meine Wochen geordnet sind. Mein verfügbares Wochenbudget ist ein anderer Ordnungs-Faktor. So zeigt sich ein Rahmen, innerhalb dessen sich erstens mein Schlafverhalten recht willkürlich, oft überraschend entfaltet und zweitens gelegentlich wieder Termine hereinkommen.

Dabei wird jenes Projektgeschehen erneut deutlicher, in dem ich meine Themen stellenweise nach außen trage. Intern beginnt praktisch jeder Tag mit einem Kübel Kaffee und mit dem Schreiben. Manchmal hab ich nachts einen Unmut, weil ich schon wüßte, woran weiterzuarbeiten wäre, aber mein Verstand zwingt mir Ruhephasen auf.


Es ist ein kurioser Zustand, etwa auf der Couch zu hocken, genau im Kopf zu haben, wohin mich meine Überlegungen führen, aber der Gang ins Büro ist mit unmöglich. Der Unwillen liegt wie eine Barriere zwischen mir und dem Schreibtisch.

Verstehen Sie mich recht, das ist keine Klage, sondern ein Jubel. Andere wissen nicht, was sie tun sollen, langeweilen sich entsetzlich. Oder sie bekommen keine Zeit für das, was sie gerne tun möchten. Ich aber, ich hab all das reichlich an der Hand und bloß mein Kräftehaushalt regelt, was grade passieren kann.

Gut, die Frage nach dem Kräftehaushalt ist eigentlich ein Tabu-Thema. Ich erlebe seit fast einem Jahrzehnt, daß Menschen aus meiner Umgebung eher nicht bereit sind, sich mit mir über Fragen des Altwerdens zu unterhalten. Ich erinnere mich auch an kaum verdeckten bis offenen Hohn, wenn ich das Thema anschnitt.

Meine Position ist klar: ich will kein „Senior“ sein. Allein schon dieser Begriff ist mir ein Ärgernis, denn er wurde mit Bildern und Rollenangeboten gekoppelt, die ich als Zumutung empfinde, die stellenweise zu sehr dummen Posen führen. Meine Grundsatzfrage lautet daher: Wovon handelt es, ein alter Mann zu werden?

Ja, das löst gelegentlich bei Menschen Schmerzreaktionen aus. Alter Mann. Ich hab Männer erlebt, die bei diesem Stichwort sofort links blinken, rechts abbiegen und weg sind. Ich hab Frauen erlebt, deren mildestes Reaktion „Tu nicht so blöd!“ lautete, gelegentlich um unverhüllte Abschätzigkeit erweitert.

Aber ich muß darauf bestehen: nichts bietet mir so viel Klarheit an, die freilich noch hergestellt werden will, wie die Sprachregelung „alter Mann“. Mir wurde unmißverständlich gesagt, allein diese Begrifflichkeit bedeute einen Verlust an Attraktivität. (Was für eine törichte Pose, das so zu sehen.)

Ich empfinde diesen Klärungsbedarf allein schon nützlich, um einen guten Kontrast zu den Kindern zu ermöglichen, die in meinem Fall rundum so aufs dritte Lebensjahrzent zugehen, also keine Kinder mehr sind. Wesen einer anderen Zeit. Ich mag es, daß man uns in den Bildern und Begriffen leicht unterscheiden kann. Ich ahne, das bedeutet auch: ihnen Raum geben, womöglich sogar, ihnen mehr Definitionshoheit einzuräumen.

Ich bin keine relevante Größe im Leben derer, die jetzt so zwischen Anfang 20 und Anfang 30 stehen. Mir gefällt die Vorstellung, daß unsere Lebenswelten etwas Komplementäres haben, in dem sich uns Berührungspunkte anbieten. Dazu nützt es mir aber, mein eigenes Bezugssystem klarer zu machen, denn ich bin nicht mehr Teil des Feldes dieser jungen Leute, die im Kern völlig andere Lebensaufgaben haben. Ich bin aber auch nicht bereit, das Altwerden als inferioren Prozeß anzunehmen.

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