16. Mai 2021
Skripte
Das Muttertagsgetöse auf Facebook hat mich staunen lassen,
wie vor allem die merkwürdige Seite einer Konvention
abgefeiert wird, indem Privatpersonen, Unternehmen und
politische Formationen gleichermaßen Standardelemente
raushauen, massentaugliche Grußformen und jede Menge
schlechter Illustrationen.
Gut, soll sein. Ich hab
Gründe, auf andere Art an meine Mutter und meine Großmütter
zu denken. Das hab ich hier kurz aufgeblättert, um vor allem
einen Punkt herauszuarbeiten. Meine aktuelle
Standortbestimmung gelingt nur schlecht, wenn das Bild
meiner Leute verzerrt oder geschminkt sein muß.
Dazu kam dann in meiner Retrospektive auch ein Nachdenken
über Fragen der Gewalttätigkeit und über die Konsequenzen
einer Saat der Gewalt. Dazu konnte ich mit Franz und Inge
Wolfmayr ein sehr anregendes Gespräch führen, während ich
Meeresfrüchte mit frischen Korianderblättern und anderen
Wohltaten vermengen durfte.
Eines war mir neu oder
ich hatte es längst vergessen: das Ich braucht Zeit, um sich
in einem jungen Menschlein einzurichten. Was die eigenen
Wahrnehmungen sind, aus denen man eigene Schlüsse zieht, ist
nicht gar so schnell klar. Das Ich braucht in der Regel gut
zwei Jahre Zeit, um sich über Erfahrungen herauszubilden.
Dabei spielt das körperliche Selbstgefühl eines Kindes
eine sehr wichtige Rolle. (Das gibt dem Gewaltthema eine
besondere Brisanz.) In diesem Zusammenhang hörte ich von
einem Denkmodell, auf das ich davor noch nicht gestoßen bin.
In der Transaktionsanalyse werden menschliche Transaktionen
untersucht, also der Austausch von Wahrnehmungen und
Informationen mit andere Leuten.
Dabei wird die Idee eines „Lebensskripts“ beachtet, die
Vorstellung, wir hätten jeweils eine Art unbewußtes
Lebenskonzept, das verfaßt wurde, ein grundlegendes Weltbild
enthält und als ein Fundament unseres Erwachsenenlebens
funktioniert.
Das finde ich maßlos interessant!
Naheliegend, daß sich so ein Skript aus frühen Erfahrungen
ableitet, die sehr wesentlich davon handeln, wie andere
Menschen auf einen reagieren und was sie einem dabei
mitteilen.
Um ein Beispiel zu nennen: ein typisches
Mantra meiner Mutter lautete: „Du bist ja der Große, der
Vernünftige!“ Das kam vor allem zur Anwendung, wenn sie
uns beide zu maßregeln versuchte und mein um 13 Monate
jüngerer Bruder ihre Kräfte weitgehend band. Es war also
kein Kompliment, sondern ein strategischer Trick.
Es
gibt eine ganze Reihe weit weniger freundlich klingende
Zuschreibungen, die wir schon in frühen Jahren irgendwie
sortieren müssen. Für Franz und Inge Wolfmayr sind das ganz
vertraute Themen, denn sie sind nicht nur sehr erfahrene
Eltern und Großeltern, es ist ihre Profession, mit solchen
Themen zurechtzukommen und anderen Menschen zu nächsten
Klarheiten zu verhelfen.
An dieser Annahme von den
prägenden Einträgen in ein Menschenherz gefällt mir
natürlich, daß man ein Skript ja umschreiben kann. Das
brauche Mumm, ist Inge überzeugt, weil man aus vertrauten
Verhältnissen heraustreten müsse. Tja! Und wenn man eine
eingespielte Position verlassen möchte, stellen sich recht
bald neue Orientierungsfragen. Was für ein schönes Thema!
+)
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