12. Mai 2021
Söhne
Historisch betrachtet galten Burschen ab dem 15. Lebensjahr
als wehr- und waffenfähig. Das hieß: kriegstauglich. Näher
an unsere Erfahrungsräumen: 19 galt als das
Durchschnittsalter der Soldaten im Vietnamkrieg. Deshalb hab
ich ein Foto von meinem Bruder Michael (links) und mir
herausgesucht, das uns in diesem Alter zeigt, etwa 18, 19
Jahre alt; in dieser passenden Pose: Was will die Welt?
In einer vorherrschenden Männerkultur müssen einem diese
Zusammenhänge nicht explizit gesagt werden, man bekommt sie
über viele Kanäle vermittelt. Das Ideal des „soldatischen
Mannes“ hat eine reichhaltige Kulturgeschichte.
Es gibt eine Logik des Krieges, die im Falle von Angriffen
auf zwei Optionen verweist: abschrecken oder entwaffnen.
Beides hat mit einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft zu tun,
welches jemanden vertreibt oder bricht.
Das fand ich
übrigens auch im Alltagsleben, in seinen zivilen Varianten,
weshalb ich nie auf die Idee gekommen wäre, ein Pazifist
sein zu wollen. Ich muß etwa 13 Jahre alt gewesen sein, als
ich das letzte Mal Übergriffen ausgeliefert war, die ich
nicht abwehren konnte, um danach zu erleben, daß sich
Erwachsene abwandten, statt mein Schutz zu sein. Dieses
Motiv ist mir vertraut geblieben: Ich bin auf mich gestellt.
Das verlangte nach einer wichtigen Eigenschaft:
Wehrhaftigkeit. Ab diesem Ereignis während eines
Jugendlagers auf einer Alm nahe Turrach hab ich den Lauf
solcher Dinge geändert. Wer mir etwas wollte, mußte recht
bald darauf physisch, emotional und intellektuell sehr gut
gerüstet sein oder auf ein Riff auflaufen.
Da braucht
es nun nicht viel Phantasie, um jene Muster der erwähnten
vorherrschenden Männerkultur zu entdecken und zu
entschlüsseln, die vom Idealtypus „soldatischer Mann“
abgeleitet wurden und bis heute in Mode sind. Muß ich ausführen,
welche Katastrophe dieser Modus im zivilen Leben und in
privaten Beziehungen werden kann? Wohl kaum! (Es gibt ja
neuerdings wieder vermehr ermordete Frauen in solchen
Zusammenhängen.)
Anders ausgedrückt: es gibt für
Frauen kaum etwas Gefährlicheres als ein Mann, der sich
angegriffen fühlt und dabei erst seine Souveränität einbüßt,
dann sein Gesicht verliert. Wenn wir nach Gewaltprävention
fragen, muß das auch von einer Überprüfung dieser Art
Männerkultur mit ihren bewährten Rollenbildern handeln.
Wenn wir nach den Rollenbildern fragen, steht natürlich
nicht bloß die Vaterfigur zur Debatte, sondern das ganz
konkrete Verhältnis zwischen Vater und Mutter, denn da
entzünden sich Konfliktlagen, deren Entlastungsstrategien
Kinder oft gewalttätig kennenlernen.
Das bedeutet
auch, daß ich meine eigene Verfassung nicht brauchbar
entschlüsseln kann, wenn mir Vater und Mutter in meinen
Erinnerungen verzerrt, womöglich geschönt erscheinen, statt
jene sein zu dürfen, die sie waren.
Dadurch mag
klarer werden, warum ich im Privatleben ein Tribunal für
nutzlos halte. Mögliche Schuldsprüche bieten mir keinerlei
Erkenntnisgewinn. Aber das hat uns schon die griechische
Tragödie gelehrt: erst wenn alle Beteiligten erzählen, was
sie erlebt und empfunden haben, ist Katharsis möglich.
Dieser Weg, den man freilich auch ausschlagen kann, führt
durch Schrecken und Mitgefühl; so Aristoteles in seiner
Poetik.
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