6. Mai 2021

Da ich derzeit ausführlich in meinem Archiv krame, was auch bedeutet in Winkel zu fassen, wo etliche Jahre nichts bewegt wurde, staune ich, bin manchmal eigenartig angerührt. Ich hatte schon öfter diese Momente, da mir klar wurde, daß mein Leben von einer überbordenden Fülle handelt, die ich nicht fassen kann. Begegnungen, Ereignisse, Irrtümer, eine Flut von allem.

Da funkeln gelegentlich so kindische Gedanken. Etwa: Wozu noch etwas draufpacken? Ich muß dann ohnehin den Kopf schütteln, denn das sind irritierende Motive. Verstehen Sie mich recht, ich bin alles andere als des Lebens müde.


Aber ich muß mich damit anfreunden, daß dieses Leben ganz und gar unüberschaubar geworden ist. Wie beneidenswert erscheinen mir manchmal Menschen, die über ihre Jahre Auskunft geben können, als hätten sie gerade eine Autobiographie geschrieben. Ich kann das nicht. Und ich ahne langsam, da ist etwas, worum es geht: sich plötzlich einer unüberschaubaren Fülle ausgeliefert sehen.

Allein dieses Online-Logbuch hat heute über dreitausend Seiten, was nur ein Teil meiner Pages im Web ist. Wenn ich weiter zurückblättere, ist mir vieles schon völlig fremd und ich weiß zuweilen gar nicht, was mich da weshalb beschäftigt hat.

Inzwischen ahne ich: das ist die gute Nachricht! Kürzlich hat ein Kerl, der einige Jahre jünger ist als ich, in meiner Gegend eine „Retrospektive“ eröffnet. Das finde ich belustigend. Eine skurrile Pose; falls man nicht gerade Stephen Hawkin ist.

Na, egal! Da ist dieser Satz von Gunnar Heinsohn, der seit Jahren zwischen meinen Ohren steckt: „Um Brot wird gebettelt, um Rang wird geschossen.“ Was für ein Theater! So ist auch klar: ich bin raus! Mit Rangfragen kann ich mich nicht befassen. Das würde mich zu Tode langweilen.

Nun also, wo nichts mehr auf das Gewesene draufgesetzt werden muß, sondern einfach geschehen kann was will, weil die Höhe der biographischen Halde keine besondere Aussagekraft hat, nun sollte sich alles weitere ziemlich für sich ereignen können, um mir diese Momente erfreulich zu machen. Aber mehr braucht es nicht zu werden.

Und die Retrospektive? Oder ein Opus magnum aufrollen? Lustig! Nein, schaut nicht aus, als ob es so kommen würde. Um es einmal mehr mit Jimi Hendrix zu sagen: „S’cuse me while I kiss the sky!“


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