2. Mai 2021
Impfreaktionen
Ich gebe keine Empfehlung ab, was andere tun sollten.
Ich erzähle bloß, was ich getan und erlebt hab. Genau das
sehe ich übrigens in der Tradition der antiken griechischen
Tragödie. Die war nie Tribunal, sondern stets Erzählung des
Erlebten. Menschen konnten sich darauf einlassen und – so
Aristoteles – durch Schrecken und Mitgefühl Richtung
Katharsis gehen. Oder sie beließen es einfach bei
Unterhaltung. Wir entscheiden selbst.
Mein
Wissensstand, gestützt auf Recherchen und Gespräche, hat
mich zur Impfstation geführt. Meine Impfkarte zeigt, daß ich
offenbar zuerst für eine andere Substanz vorgemerkt war, die
durchgestrichen wurde. Darüber kam ein Aufkleber, der für
mich den Impfstoff Moderna ausweist.
Ich hatte keinen Einwand. So wurde ich am 30.4.2021 kurz
nach 11:00 Uhr geimpft. Gegen 14:00 Uhr habe ich mich sehr
erschöpft gefühlt und den restlichen Tag verschlafen. Nachts
war ich noch ein Weilchen munter, um dann weiterzuschlafen.
Große Müdigkeit und Muskelschmerzen auf sehr mäßigem
Niveau waren meine Hauptreaktionen. Ein schwächelnder
Kreislauf und ein wackeliger Kopf. Ich hatte ab der Impfung
(bis zum nächsten Morgen) mindestens zehn Stunden tiefen
Schlaf erwischt, was mir sonst nie gegönnt ist.
Am
Folgetag war immer noch ein Hauch von Muskelschmerzen da und
im Kopf ein Kater-Gefühl wie nach zwei Flaschen Wein. So
eine Art blasses, durchscheinendes Denkvermögen im Ringen um
Sorglosigkeit. Aber keine Übelkeit. (So einen Kater hätte
ich mir manchmal gewünscht; statt dem Viech, das mir öfter
im Nacken saß.)
Ich fand es nett, was mir auf meinem
Weg dahin an gutgemeinten Warnungen zugestellt worden war.
Ich sortiere das in mein Gesamtpaket, wonach zu sagen wäre:
mit meinen 65 Jahren und meiner noblen Distanz zu
Sportlichkeit habe ich einen interessanten Punkt erreicht.
Nach meiner Zeit als trinkfreudiger Bohemien und als
leidenschaftlicher Motorradfahrer hatte ich einige Male
inspirierte Chirurgen gebraucht und ganze Teams von
Fachkräften, um mich für den Alltag wieder aufzustellen. Das
heißt konkret, ich bin körperlich nicht mehr im
Originalzustand und dennoch auf rätselhafte Art in merklich
besserer Verfassung als etliche Leute, die ich kenne, manche
um zehn Jahre jünger als ich.
Dabei habe ich seit
rund dreißig Jahren und zwei schweren Motorradunfällen
keinen Tag ohne Schmerzen erlebt. Aber sie sind meist wie
ein unspektakuläres Hintergrundrauschen, das nur dann
hochgeht, wenn ich zu sehr unter Druck gerate. Belastungen,
egal welcher Art, treiben meinen Schmerzpegel hoch. Danach
sackt er wieder auf ein fast unerhebliches Maß ab.
Es
wird daher schon so sein, daß ein ganzer Lebensstil über
Lebensqualität entscheidet. Ich gehe davon aus, daß
individuell in der aktuellen Krise extrem unterschiedliche
Erfahrungen gemacht werden. Ich kenne die wichtigtuerische
Pose, eigene Erfahrungen als etwas Allgemeines zu deuten.
Da bleibe ich lieber bei Aristoteles. Es steht uns frei,
in der Krise Richtung Katharsis oder Richtung Katastrophe zu
gehen. Schauen wir also, was kommt und was sich ausgeht. Ah
ja! Tag zwei nach der Impfung.
Ich hab den Vormittag
wie gewohnt in meinem Büro gearbeitet. Zu Mittag hatte ich
Lust auf Wein. Nach einer halben Flasche war klar: der haut
gerade heftiger rein als sonst. Das sollte an der Impfung
liegen, denn diese Blaufränkischen kenne ich seit Jahren
genau.
Wie am Vortag, so war ich gegen 14:00 Uhr
erschöpft und müde, daß ich bis zum Abend fest geschlafen
hab, nach einem kleinen Intermezzo auch die Nacht. Nun, am
Sonntag, schmerzt bloß noch der Oberarm auf die Art, als
hätte ich da einen Schlag kassiert. Ich bin nicht in
Bestform, aber wenn sich heute keinerlei Unpäßlichkeit
einstellt, dann war’s das wohl vorerst mit der Impfreaktion.
(Naja, ich rechne mit einem Nachmittagsschläfchen.)
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