7. April 2021
Nachtschichten und
Tageszeiten
Vom dunklen Brot hätte ich gestern nichts mehr gehabt.
Für mehr als fünf Tage reicht kein Kilo. Aber diesmal war
zusätzlich auch ein Stück Milchbrot am Tisch. Doch das ist
der letzte Kaffee. Es ist auch kein Wein mehr da.
Gestern habe ich sogar eine Dose alkoholfreies Bier in den
Kühlschrank gelegt. Ein deutliches Zeichen. Dieses Zeug
hatte ich voriges Jahr angeschafft, weil mir eine
Besprechung mit einem Autofahrer ins Haus stand, dessen
Führerschein geschont werden solle. Aber er mochte es nicht
trinken. Ich auch nicht. Nun schon.
Meine Vorräte strukturieren den Wochenverlauf. Und mein
unruhiger Schlaf. Dazu kommt: alle zehn bis vierzehn Tage
führe ich nachts ein ausführliches Gespräch mit einer
imaginären Person. Ich würde mir tagsüber kaum so viel Zeit
nehmen, um etwa einem Telefonat mit einer realen Person
mehrere Stunden Platz einzuräumen. Das Komfortable an dieser
imaginären Person: sie hört mir ausdauernd zu, ohne sich
selbst einbringen zu wollen.
Aber auf meinen Gängen
durch die Stadt und in die Umgebung fallen inzwischen stets
Begegnungen und kleine Plaudereien an, die mir viel Freude
bereiten. Dazu nehme ich ferner meine Träume als ein
Erlebnisfeld, das ich den Tagesereignissen gegenüber als
ebenbürtig ansehe. Ich bemühe mich nicht, meine Träume zu
deuten. Ich erlebe sie einfach. Ich deute ja auch meine Wege
durch die Wälder nicht, sondern gehe sie einfach.
Wälder. Das bringt mich gelegentlich in knifflige Passagen,
denen ich von meinen Kräften her nicht ausreichend gewachsen
bin. Manchmal wirft mich eine Böschung ab. Das gibt
erfrischende Stürze, denn sowas würde man ja freiwillig
nicht tun. Oft staune ich hinterher, an welchen Stellen
meines Körpers sich dabei ein Schmerz einnistet, der mich
mehrere Tage nicht verläßt.
Daraus ergibt sich für Momente eine erhebliche physische
Munterkeit, aus der ich in merkwürdige Erschöpfungen falle.
Der jüngste Kälteeinbruch war wie ein Hieb, unter dem ich
mich ins Bett verkroch. All diese Momente mische ich mit den
Arbeitsstationen, an denen ich sehr stur festhalte. Meine
Themen und Arbeitspensa hängen ja nicht an einer bestimmten
Stunde des Tages.
Nach über einem Jahr der Pandemie
fühl ich mich von diesem Modus etwas zerschrammt, verschoben
und verschroben, bin auch fraglos ein wenig verwildert, aber
ich darf das alles in einer leidlich stabilen Situation
erfahren.
Ich bin Menschen verbunden, die ganz andere
Kräfteverhältnisse bewältigen müssen. Hier etwa, wenn der
Tag um vier Uhr morgens beginnt, damit die Mutter aus der
Provinz nach Graz gebracht werden kann, während ihr Sohn
während der laufenden Krebstherapie ausgesperrt bleibt, sich
grade bei dieser Kälte im Freien zurechtfinden muß, da er
nirgends Zutritt erhält.
Oder diese andere Situation,
wo das Sterben der Mutter unabwendbar erscheint, eben
begonnen hat, woran sich nicht rütteln läßt. Aber es kann
sich auch etwas weniger radikal zeigen, da jemand für zwei
Kinder zu sorgen hat, von der Familie auch noch mit dieser
und jener Bürde belastet wird, die da nichts verloren hätte.
Man braucht derzeit einiges Glück, sich nur mit den
eigenen Sorgen herumschlagen zu dürfen. Das verleitet mich
jetzt zu keinen Freudensprüngen, aber meine Zuversicht hat
noch unverbrauchte Reserven. Und manchmal beneide ich mich
selbst, wenn mir alles wenigstens für Augenblicke recht
stabil und gut ausbalanciert erscheint. Das muß vorerst
reichen.
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