1. April 2021

Eine Lampe. Eine Brücke.

Na klar hat der schon bessere Zeiten gesehen. Wie wir alle. Das ist banal. Er kam mir breitbeinig entgegen. Kabel im Ohr. Zigarette im Mund. Unter einem Arm eine Schachtel, die laut Aufdruck eine Lampe enthielt. In der anderen Hand eine Dose Bier. Nicht die erste an diesem Tag, wie sich zeigen sollte.

„Lange nicht gesehen.“ Meine Güte! Das trifft ja nun andauernd zu; meine nächsten Nachbarn ausgenommen. Aber ich genieße es meist, wenn ich auf meinen Rundgängen ein wenig Plauderei erlebe. Das macht inzwischen sogar gut ein Drittel meiner Open Air-Stunden aus, falls ich rausgehe und nicht gleich im Wald verschwinde. Geselligkeit.

Doch nun: der Mann mit der Lampe. Und der Zigarette. Und dem Bier. Den Tonfall kenne ich. Als er seinen Kummerkatalog entrollte, ahnte ich treffsicher, worauf das hinauslaufen werde. Wir standen am Rande eines weitläufigen, fast leeren Parkplatzes.

Ein paar junge Menschen warteten, um abgeholt zu werden. Die ankommenden Autos wurden so gut es ging um die Speedbreaker herumgeführt. Ich versuchte, mein Gegenüber auch ein wenig einzubremsen, brachte sachte Einwände vor. Würden wir einen Dialog haben? Nein.

Es quoll aus ihm hervor, in manchen Schleifen, kleinen Wiederholungen: lauter Unbill, das er ertragen mußte. Und raten Sie! Genau! In allen Episoden, in jedem Detail wußte er zu sagen, wer daran schuld hatte. In dieser Erkundung seiner Lebensumstände kam er selbst als Auslöser von was auch immer nicht vor.

„Okay, du hast noch zehn Minuten“, sagte ich ihm, weil es nicht sein muß, daß ich einen derart von Kummer und Unschuld überquellenden Menschen einfach auf so einem verlassenen Parkplatz stehen lasse.

Und dann mein kleiner Vorschlag: „Bleiben wir doch einmal kurz bei dir. Nur bei dir. Laß alle anderen Leute aus dem Spiel. Womit stehst du mir denn dann gegenüber?“ Das schien ihn zu verwirren, weshalb er – vermutlich um Halt zu finden – sein Lamento von vorne begann.

Ich gab noch etwa drei bis fünf Minuten dran, sagte schließlich: „Ich hab jetzt genug gehört. Mach’s gut.“ Er hatte inzwischen Tränen in den Augenwinkeln und fragte: „Hast du nächste Woche einmal Zeit, daß wir was trinken oder so?“

„Nein“, erwiderte ich, „denn ich such mir jetzt eine Brücke und stürz mich hinunter.“ Ich vermute, er hat die Pointe nicht verstanden. Ich muß eventuell lernen, etwas direkter zu werden.

-- [Die neue Bourgeoisie] --


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