26. März 2021

Das Gelass

Ich bin nun ein zweites Mal hingegangen, um mir den abgesteckten Raum noch einmal anzusehen. Es ist ein Gelass zwischen dem vormaligen Bezirksgericht und einem Trafohäuschen. In die Zaungitter wurde eine Tür eingefügt. Ich weiß, wofür dieser eingezäunte Zwischenraum einst genutzt wurde, doch dieser Funktion enthoben hat er eine sehr eigentümliche Attraktivität gewonnen.

Der Boden ist gepflastert, ein Kanalgitter ruht darin, Grünzeug bricht hervor. Es ist ein Raum von merkwürdiger Eindeutigkeit, der sich zur Anschauung eignen würde, wollte man über das Thema „Die perforierte Stadt“ sprechen.

Zum Wort Gelass fällt mir ein, daß vor wenigen Jahren ein mir vertrauter Mensch meinte, ich würde mich mit einer völlig antiquierten Sprache breit machen und das mit einem anmaßenden Denken verknüpfen.


Sind Worte, wenn sie aus dem Gebrauch kommen, der Antiquiertheit übergeben? Ist Gelass ein „veraltetes“ Wort? Ich weiß es besser. Solches Entfrachten der Sprache drückt einen Verlust an Genauigkeit aus, die wir auch einbüßen, wenn wir unser Erzählen nicht mehr in die Unschärfe manch poetischer Momente erweitern können. Der Verzicht auf solche Worte bedeutet einen Verzicht auf Nuancen.

Welchen besseren Begriff hätten sie mir denn anzubieten, um Gelass zu ersetzen? Sollten Sie aber gar keine Vorstellung haben, was ein Gelass ist, dann empfehle ich Gleisdorf zu besuchen. Das einstige Bezirksgericht ist rechts, bald nach der Westeinfahrt, zu finden. Dort können Sie durch das Türchen treten und sich umsehen.

Dann, so nehme ich an, werden Sie das Wort Gelass wieder in Ihren Wortschatz aufnehmen, weil ansonsten nur wesentlich uneleganteres Gerede bliebe, um zu beschreiben, wo Sie gewesen sind. Gut, ich verstehe, man muß sich solchen Vorhaben nicht unterziehen. Aber ich. Ich muß das.


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