22. März 2021
Das Tageslange
Langsam beruhigt sich in mir etwas, denn da ist viel
gelungen. Dieses Gelingende schafft ein Gegengewicht zu den
mühsamen bis unerfreulichen Dingen, denen man derzeit
weniger als sonst ausweichen kann.
Balance. Das ist
so deutlich vor meinen Augen: ein Ringen um Balance. Ein
Manövrieren, in dem die Nuancen nicht auf der Strecke
bleiben sollen. Für mich wurde die Pandemie bloß das
Festival der harten Konturen in einem Prozeß, der spätesten
ab 2010 in Gang gekommen war, um diese Gesellschaft
tiefgreifend zu bewegen.
Ich sage nicht wandeln. Ich würde nicht von Veränderung
sprechen, denn momentan scheint es mir, als habe das
Krisen-Crescendo erst einmal den Status quo verdeutlicht.
Ich finde es nach wie vor merkwürdig amüsant, wenn ich höre,
Corona habe diese Gesellschaft gespalten.
Wir waren
davor keinesfalls eine homogene Untertanenmasse und Corona
tut gar nichts. Wir! Wir zeigen erstaunlich Tänzchen und
Fehlleistungen im Bemühen, das Virus aus unseren Körpern
draußen zu halten.
Der Eindringling kann uns nicht
stürmen, nicht bedrängen, nicht anspringen. Was auch immer
derzeit an Ungemach geschieht, tun wir einander an. Das ist
ein Stück Klarheit, mit dem ich derzeit meinen Kompaß
justiere.
Doch es hat etwas sehr Markantes, daß es
eben ein Jahr gewesen ist, seit Österreich in den ersten
Lockdown ging. Ich neige zu so einer Art
Kalenderzahlenmagie. Keine anderen Konzepte, die in
Zahlencodes dargestellt werden, faszinieren mich so wie der
Kalender. Und daß wir „zirkadiane Wesen“ sind.
Ein Begriff zur Chronobiologie, der besagt, daß wir uns in
Zyklen von zirka 24 Stunden, also in Tagesrhythmen, am
wohlsten fühlen. Das Zirkadiane ist das ungefähr Tageslange.
Gibt‘s dieses Wort überhaupt? Das „Tageslange“. Oder mir
gefällt auch dieses Wort sehr: Gesenkschmiede. Ich könnte
stundenlang über solche Worte reden.
Also! Da war
eben eine
Teledrink-Session zum ersten Jahr der Pandemie
abzuhalten. Mit dieser Session ging die
Origami
Ninja Association online. Die hatte ich mit Musiker
Oliver Mally formiert, weil es uns reicht, was da draußen an
Geplärre, Gezänk, an allen Arten von Abschätzigkeiten
kursiert.
Wir haben heut grade wieder darüber
gesprochen. Die alten Heldennummern sind für den Arsch.
Heroen, die sich einsam in das Rad der Geschichte werfen, um
den Lauf der Welt zu ändern, was für ein Plüsch! Diese Pose
kann überhaupt nichts.
Natürlich sind wir teils
äußerlich verwildert und innerlich verwüstet. Wohl nicht
alle, ich aber schon. Daher bleibt zu klären, was ich damit
anfangen und was ich daraus machen möchte. Als junger Kerl
fuhr ich allerhand Motorräder. Eines davon, zerschrammt und
vernarbt wie ich, hatte einen Tank, auf dem stand mit grobem
Pinselzug hingehauen: „never a dull moment“.
Sonst noch was?
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